Weihnachten ist so nah’ und deshalb machen wir der NZZ für einmal ein Geschenkli und behaupten: Sie ist das intellektuelle Flagschiff des Deutschschweizer Bürgertums und damit der Schweiz. Aber wird dies auch so bleiben, nach der Amtsenthebung des bisherigen Chefredaktors Markus Spillmann, auch Leiter Publizistik? Der NZZ-Verwaltungsrat hat ja in den vergangenen Wochen einiges getan, um den publizistischen Ruf des Blattes zu minimieren.
Die Auseinandersetzungen um die Spillmann-Nachfolge spiegeln den Richtungsstreit der Schweizer Innenpolitik und deren Abkoppelung von der international ausgerichteten Wirtschaftswelt. Dies ist nicht zum ersten Mal.
Aber alles schön der Reihe nach. Weltwoche-Verleger Roger Köppel eröffnete das nationalkonservative Wunschkonzert: Der neue Chefredaktor müsse das bürgerliche Lager versöhnen, die neurotischen Grabenkämpfe entschärfen. Und „SVP und FDP auf eine einigermassen gemeinsame Linie gegen die Linken bringen.“ Bereits vor Wochen hatte ein anderer Blocher-Apologet ähnliches gefordert. Es gehe um „die Zukunft der bürgerlichen Schweiz“ schrieb BaZ-Chef und FDP-Mitglied Markus Somm zu Allerheiligen: Wenn sich FDP und SVP nicht fänden, gingen wir „sehr schweren Zeiten“ entgegen. Die beiden Parteien müssten daher Listenverbindungen eingehen und nach den Wahlen 2015 in der Lage sein, „die Zusammensetzung des Bundesrates mittels einer eigenen Mehrheit im Parlament zu bestimmen“. Diese Forderung kann Somm nur stellen, weil er die Differenzen der beiden Parteien in der Aussenpolitik kleinschreibt. Konkret: Wie entwickelt die Schweiz ihr Verhältnis zu den internationalen Organisationen, von der UNO über die EU bis zum Europäischen Menschengerichtshof. Und damit auch zum Völkerrecht, nicht nur beim zwingenden.
Die beiden rechtsbürgerlichen Chefredaktoren wie auch ihr politischer Ziehvater kämpfen noch immer gegen den Paradigmawechsel der eidgenössischen Politik. Galt bis Mitte der 1980er-Jahre in allen bürgerlichen Parteien und in der Landesregierung die Devise „Sonderfall“ (Internationaler Handel JA, politische Einbindung in internationale Organisationen NEIN), gilt nun die Losung, die Schweiz ist ein Sonderfall wie andere Länder auch. Das heisst: Sie ist wirtschaftlich eingebunden in die Weltwirtschaft (besonders ausgeprägt die Finanz- und Rohstoffbranche) und ist auch in internationalen Organisationen politisch aktiv. Diese Politik ist demokratisch bestens abgestützt. Die Nationalkonservativen haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Volksabstimmungen zur Aussenpolitik verloren. (UNO-Beitritt, Bilaterale Verträge etc.).Der Kampf um den EU-Beitritt ist die letzte verbliebene Auseinandersetzung. Dieser Beitritt ist ebenso unvermeidlich wie der Fall der Steuerhinderziehungsfreiheit. Wir erinnern uns an Bundesrat Rudolf Merz: "Am Bankgeheimnis werdet Ihr Euch die Zähne ausbeißen".
Die bürgerliche Schweiz kann gar nicht mehr anders. Seit dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ und seit der fast weltweiten Durchsetzung von neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen und dem dazugehörenden Abbau von nationalen Hindernissen orientiert sich auch die Schweizer Wirtschaftswelt nicht mehr an nationalen Auseinandersetzungen. Selbst SVP-Tribun Christoph Blocher ist aufgefallen, man lese „die NZZ heute vor allem wegen des Wirtschafts- und allenfalls Auslandteils, nicht mehr wegen der politischen Berichterstattung.“ Dieses starke publizistische Standbein gefährdete der NZZ-Verwaltungsrat durch sein Liebäugeln mit einem Isolationisten wie Markus Somm. Es waren ja denn auch die NZZ-Korrespondenten, die den Verwaltungsrat zuerst vor dem „Ende der Kultur einer liberalen und weltoffenen NZZ“ warnten.
Wie teuer es die bürgerliche Schweiz zu stehen kommt, wenn sie sich mit nationalistischer Rabulistik den internationalen Auseinandersetzungen entzieht, hat der Historiker Thomas Maissen – einst auch NZZ-Redaktor - in seinem Buch „Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose Vermögen und Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004“ präzis beschrieben. Er endet: „Um weltweit konkurrenzfähig zu sein und überhaupt wahrgenommen zu werden, müssen die notwendigen Deutungsalternativen aber über- und transnational verankert sein, und das heisst im schweizerischen Kontext: europäisch.“