Bürglen ist eine Gemeinde im Kanton Thurgau, unweit von Weinfelden, rund 3000 Einwohnerinnen und Einwohner, unter ihnen Familien, die den islamischen Glauben praktizieren. Rund 50 muslimische Schülerinnen sollen in der Gemeinde zur Schule gehen. Vor rund zwei Jahren stellen zwei 14jährige Mädchen das Gesuch, künftig mit dem Kopftuch zur Schule kommen zu wollen. Der Schulrat lehnt den Antrag ab, gestützt auf die Schulordnung. Das Bundesgericht stellt fest, diese Ablehnung könne sich nicht auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage stützen, und der Fall eigne sich nicht als „Grundsatzurteil“. Daniel Vischer, Anwalt der beiden Schülerinnen wie auch Nationalrat Grüne, hat zwar bei der öffentlichen Beratung des Urteils den Eindruck gewonnen, dass „ein generelles Kopftuchverbot es sehr schwer haben“ werde, aber die Frage bleibt offen.
Das Urteil ist die Neuigkeit des Tages. Die meisten Medien – mit Ausnahme von NZZ und NZZ am Sonntag - agieren wie einst die Blick-Redaktion in den 1960er-Jahren, in den ersten Jahren der Nationalen Aktion NA. Das Boulevardblatt wollte die Italienerfeinde nicht vergrämen und so entschied die Redaktion: Den Fremdenfeinden das Wort geben, mit einem „scharfen Kommentar“ absichern. So schildert es Turi Honegger, damals Blick-Redaktor, in seinem Roman „Albträume“. Exemplarisch Kari Kälin, Redaktor der Neuen Luzerner Zeitung NLZ, einst für kurze Zeit Weltwoche-Redaktor. Er sieht „keinen triftigen Grund, die Religionsfreiheit der muslimischen Schülerinnen zu beschneiden.“ Drei Berichte publiziert Kälin insgesamt, sie sind alle „ein Steilpass für die Kopftuchgegner“, bei einer einzigen linken Gegenstimme. Hingegen lässt er die Vorzeige-Muslimkritikerin Necla Kelek ausführlich zu Wort kommen und agiert später auch als Sprachrohr für jene muslimfeindlichen Nationalkonservativen, die daran sind, eine Initiative für ein allgemeines Verhüllungsverbot zu lancieren.
Anders agiert heute das Boulevardblatt. Es lässt Anwalt Vischer und einen Bundesrichter zu Wort kommen, der Kommentar von Britta Krauss endet. „Letztlich ist Integration das Ziel. Und dabei stört das Kopftuch.“ Sie bestätigt damit eine bekannte Beobachtung: Die Forderung nach „Integration“ liefert den Vorwand für Diskriminierungen oder für die Propagierung konventioneller Verhaltensmuster. Integration erscheint – wie es der NZZ-Kommentator Christoph Wehrli befürchtet – als „völlige Angleichung an eine vermeintliche Mehrheitskultur und einen durchschnittlichen Säkularismus“.
Auch die Auswahl der zitierten Stimmen belegt das verbreitete Zerrbild. Auftritte erhalten der Grundrechts-Ignorant Christophe Darbelley und bekannte islamfeindliche Stimmen wie Alice Schwarzer oder Necla Kelek, weiter die SVP-Männer der Minarettsverbot-Initiative und die Frauen des „Forums für einen fortschrittlichen Islam“, die durch weltliche Verbote eine aufgeklärte Religion erzwingen wollen. Als Verteidiger des Kopftuchtragens immer beliebt das fundamentalistische Konvertiten-Grüppchen des Islamischen Zentralrats, als ob man den Anschein erwecken wolle, der Islam sei an sich fundamentalistisch. Nur das St. Galler Tagblatt frägt bei einem repräsentativen Islamischen Dachverband nach, niemand bei jenen Musliminnen und Muslimen, die – wie die Mehrheit der Angehörigen christlicher Bekenntnisse – sich zur Gemeinschaft zählen, doch den Glauben nicht oder kaum praktizieren.
Diskriminierende Vorschläge gegen Muslime sind in der Schweizer Gesellschaft mehrheitsfähig, wie früher gegen andere Minderheitsreligionen. Der Politikwissenschaftler Adrian Vatter stellte bereits kurz nach der Annahme der Minarettverbots-Initiative fest: „Die Volksentscheide zu religiösen Minoritäten der letzten 160 Jahre sind kurz zusammengefasst eine Kaskade von Verzögerungs-, Ablehnungs- und Verschärfungsbeschlüssen.“ Die Deutschschweizer Medien tun zurzeit viel, damit dies weiterhin so bleibt.
Was uns in Aussicht steht, demonstriert Andres Büchi, „Beobachter“-Chefredaktor. Bereits wenige Stunden nach dem Entscheid verbreitet er auf der Homepage eine Denkfigur, wie sie bei Muslimfeinden gang und gäbe ist. Er verweist auf intolerante muslimische Länder und die „fundamentale Auslegung islamischer Werte“, um dann hiesige Intoleranz zu fordern, alles vorgebracht im Tonfall des besorgten Citoyen.