«20 Minuten»: Journalismus ohne Verantwortung
Ein Luzerner Student entwirft für eine Semesterarbeit ein Haus mit Hakenkreuz-Grundriss. «20 Minuten» macht aus dieser Geschichte eine Steilvorlage für Antisemiten.
Die Meldung hatte an sich wenig News-Potenzial: Studenten der Hochschule Luzern – Technik & Architektur erhielten die Aufgabe, die Architektur in den Alpen und im Himalaja zu analysieren. Eine abgelieferte und ausgestellte Semesterarbeit sorgte in der begrenzten Öffentlichkeit der Hochschule für Kopfschütteln, sie zeigt ein Haus mit dem Grundriss eines Hakenkreuzes.
Die Luzerner «20 Minuten»-Redaktion erfährt davon und ruft zwei bekannte Exponenten der Jüdischen Gemeinschaft an, Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG, und Yves Kugelmann, Chefredaktor des Wochenmagazins «Tachles». Beide reagieren gelassen, sie erachten den Entwurf als «unsensibel», verlangen aber weder Sanktionen noch irgendwelchen Reaktionen. Daraus zimmert die «20 Minuten»-Redaktion den aufgepeppten Titel: «Hakenkreuz-Haus verärgert Juden». Aber warum ausschliesslich Juden, und nicht auch Radfahrer? Der Redaktor hat eben niemand anderen befragt, weder Linke noch Rechte, weder Schwule noch Romas, weder Muslime noch Christen. Hätte er es getan, hätte er die Geschichte anders schreiben müssen.
Im «20 Minuten»-Forum entfaltet die Geschichte die absehbare Wirkung, rund hundert Einträge, die meisten eindeutig antisemitisch oder zumindest mit antisemitischem Unterton. Häufig der Verweis, «Juden» sollten «die Vergangenheit» endlich ruhen lassen und es sei ja bekannt, dass das Hakenkreuz in einigen asiatischen Kulturen ein Zeichen für Glück sei. Viele ziehen Vergleiche mit den Auseinandersetzungen in Palästina und dem Nahen Osten, als ob Schweizer Juden auch für die israelische Politik verantwortlich wären.
Ein «Sven L.» beispielsweise schafft es, gleich mehrere Themen in einem Erguss unterzubringen: «Die Juden sollen endlich auch mal Toleranz zeigen! Ist ihr ruepelhafte Benehmen in der arabischen Welt, in die sie nicht hingehoeren, die Rache dafuer, dass sie frueher mal etwas unten durch mussten? Der Holocaust Bonus ist laengst abgelaufen!» (sic!)
Die Reaktionen sind Beweis dafür, wie schnell latenter Antisemitismus sich aktivieren lässt und dass in den Foren der Gratisblätter diskriminierungswillige Nationalkonservative die Stammtischhoheit errungen haben. Die «20 Minuten»-Redaktion sah aber keinen Grund für Selbstkritik, im Gegenteil: Am folgenden Tag lobt sie sich und titelt: «Unterstützung für Hakenkreuz-Haus», für den «Unmut» von Schweizer Juden hätten «viele Leser kein Verständnis». Wer zu einem solchen Urteil fähig ist, hat keine Ahnung von der Verantwortung der Medienschaffenden.
Dieser Text erschien zuerst beim Branchendienst
Kleinreport, 6. Februar 2011, siehe www.kleinreport.ch