Am 16. April 1942 verabschiedete sich der Berner Viehhändler Arthur Bloch kurz vor fünf Uhr morgens von seiner Frau Myrta, um nach Payerne an den Viehmarkt zu fahren. Es sollte das letzte Mal sein, dass sich die beiden sahen.
Legte Blochs unerwartetes Verschwinden die Annahme eines Verbrechens nahe, so konnte es über das Schicksal des Viehhändlers noch Zweifel geben, als am 23. April 1942 in einer Grotte in der Nähe von Payerne ein blutbeschmierter Kittel gefunden wurde. Die weiteren Nachforschungen führten die Fahnder in der Folge zur lokalen "Fröntler"-Gruppe um Fernand Ischy. Am Tag darauf barg die Polizei drei Milchkannen mit Blochs zerstückelter Leiche bei Chevroux aus dem Neuenburgersee.
Der Prozess gegen die fünf an der Tat Beteiligten wurde am 15. Februar 1943 vor dem Geschworenengericht eröffnet. Das Gericht verurteilte schliesslich vier der Angeklagten zur Höchststrafe, der fünfte kam mit 15 Jahren Gefängnis davon. Zudem beschloss das Gericht, gegen den waadtländischen Frontenführer Philippe Lugrin, der sich ins besetzte Frankreich abgesetzt hatte, wegen mutmasslicher Anstiftung zum Verbrechen zu ermitteln. Der Antisemit Lugrin wurde nach dem Krieg an die Schweiz ausgeliefert und 1947 zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt.
In seinem Buch "Der Judenmord von Payerne" zeichnet Hans Stutz - gestützt auf ältere Darstellungen des Fallls, nämlich auf den Film "Analyse d'un crime" von Yvan Dalain und Jacques Pilet sowie auf Pilets Buch "Le crime nazi de Payerne" - die Geschehnisse im Einzelnen nach.
Darüber hinaus geht es Stutz offenbar auch um einer Rekonstruktion des gesellschaftlichen Klimas jener Jahre, des antisemitischen Umfelds des Verbrechens.
Bloch war insofern ein eher zufälliges Opfer, als ihn die Täter kaum kannten. Dennoch war es kein Zufall, dass Bloch zur Zielscheibe des Verbrechens wurde - denn Bloch war Jude, und ein Jude sollte "verschwinden", wie Ischy den Befehl, den er von Lugrin erhalten haben wollte, vor Gericht umschrieb.
Ein klarer Fall von Judenhass also, möglich geworden in einem Klima, das durch antisemitische Hetze aufgeladen worden war? Fast alles spricht für diese Deutung. Für das Gericht waren indessen auch noch andere Motive im Spiel. So wies es in der Urteilsbegründung darauf hin, dass bei drei der Angeklagten, die kaum einen Hass gegen die Juden gehabt hätten, die Frage des Geldes - Bloch trug als Hàndler eine namhafte Summe auf sich - beim Entschluss, ihn zu töten oder töten zu helfen, eine wichtige Rolle gespielt habe.
In solchen Äusserungen sowie in den Pressekommentaren sieht Stutz Indizien für das Bestreben, Antisemitismus und insbesondere schweizerischen, als Tatmotiv auszublenden. Für diese These scheint vieles zu sprechen. Soviel, dass sich Stutz die Sache bisweilen etwas zu einfach macht. Das ist schade, denn so bleibt das Buch eine interessante Skizze. Lieber hätte man jedoch eine möglichst scharfe Aufnahme in den Händen. Der "Judenmord in Payerne" ist dennoch ein Buch, das man lesen sollte.
Martin Stohler
Volksstimme Sissach, 1. März 2002
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