zurück zur Textübersicht

"70 Prozent Migranten im Corona-Bett"

Am Anfang steht auch diesmal eine Behauptung: Beim Gesundheitspersonal von Spitälern der Region Basel habe sich herumgesprochen, auf den Intensivstationen lägen überdurchschnittlich viele Migranten.
Behauptet zumindest ein Redaktor der Basler Zeitung BaZ.  Doch bald muss er feststellen: Es gibt keine Zahlen, weder offizielle noch inoffizielle. Ist für ihn kein Problem, er kennt ja SVP-Politiker. Und so befragt der grandiose Reporter den basellandschaftlichen Regierungsrat Thomas Weber. Der Gesundheitsdirektor weiss nichts Genaues, aber hat eine Schätzung, so rund 40 Prozent Ausländer sollen es sein. Überhaupt keine Zahl nennen, will der Baselbieter SVP-Parteipräsident Dominik Straumann. Aber er weiss, wer die Betten gefüllt haben soll, „eine Kumulation von Balkanrückkehrern“. Soll zwar nach den Sommerferien gewesen sein. Aber was soll’s? Der dritte SVP-Politiker bewirtschaftet bereits die angestrebte Empörung: Es könne doch nicht sein, „dass Intensivbetten und Beatmungsplätze überproportional von Menschen mit Migrationshintergrund“ belegt seien.

Eine Vermutung, keine Zahlen, aber SVP-Meinungen. Der BaZ-Schreiber findet noch eine „Bettina Wettstein“ (Pseudonym! Ebenfalls SVP?). Sie soll Einblick in Patientenakten haben und folgert „querbeet“, 70 Prozent der Corona-Patienten hätten Migrationshintergrund. Und sie kämen „primär aus dem Osten“. Nur welcher Osten? Naher oder Ferner? Weissrussen? Türkinnen? Tschetschenen? Thailänderinnen?

Bestätigung durch eine zweite Quelle? Fehlanzeige. Der BaZ-Schreiber hat ja eine Geschichte, die Stimmung machen soll. Ihr Titel in der Online-Ausgabe: „70 Prozent Migranten im Corona-Bett“.

Dieser Titel kommt bei Thomas Aeschi, SVP-Nationalrat prompt in den rechten Hals, und huschhusch auf Twitter und Facebook: Hierzu sage Bundesrat Alain Berset nichts: „Aber mit immer noch mehr Einschränkungen bringt er immer noch mehr Schweizerinnen und Schweizer um ihre Existenz!“ Kausalzusammenhang schleierhaft, doch was dem BaZ-Schreiber gelang, gelingt auch dem SVP-Fraktionspräsidenten:  Er löst diffamierende Reaktionen aus. (Andere Benutzer widersprechen und nennen diese „rassistisch“.)

Nationalrat Aeschi aber dreht die Geschichte weiter. Gleich zwei Fragen deponiert er für die nationalrätliche Fragestunde. Schreibt von ‚Corona-Heimkehrer‘ aus dem Balkan und – neu – von „Wirtschaftsmigranten aus Afrika und arabischen Ländern“. Für Fragen braucht ein Diskriminierungswilliger ja auch keine gesicherten Fakten. Sein Wille findet immer einen Vorwand, Privilegien einzufordern.

Immerhin, der Bundesrat putzt den SVPler ab: Der Zugang zum Gesundheitswesen müsse „für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz gleichermassen gesichert sein“.

Hans Stutz
Tachles, 11. Dezember 2020
Alle Rechte beim Verfasser.