zurück zur Textübersicht

Intensive Kontakte zwischen dem Oberwallis und Thüringen

Oberwalliser Rechtsextremisten sind tief verstrickt mit der Neonazi-Szene in Deutschland.

In der ersten Märznacht 2016, kurz vor Mitternacht kleben drei Männer in Brig-Glis und Naters an über zwanzig Stellen, einerseits ein rotes Plakat, mutmasslich selbst entworfen, andererseits verschiedene Flugblätter der Nationalen Aktionsfront (NAF). Die roten Aufkleber zeigen als Hintergrund eine Kakerlake, und die Botschaft „Raus hier“, in Farsi, Iranisch, Arabisch, Somalisch und Türkisch. Eine ebenso diffamierende wie unmissverständliche Aufforderung, die Schweiz zu verlassen.

Die NAF-Flugblätter fordern „ASYLFLUT STOPPEN! Europa erwache!“, bei einer Variante versehen mit dem Zusatz „PARIS WAR ERST DER ANFANG.“ Eine Anspielung auf die islamistisch motivierten Anschläge gegen die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ (Januar 2015) und den Pariser Konzertsaal Bataclan (November 2015).  Und darunter rot und fett die Parole: „EIN STOLZER MENSCH UNTERWIRFT SICH NICHT, ER WEHRT SICH.“ Nur gegen wen? Ausschliesslich gegen MuslimInnen? Auf ihrer Homepage verbreitet die NAF das Flugblatt ebenfalls. Auf der Rückseite steht die Behauptung, dass hinter der „Masseninvasion“ ein „wohldurchdachter Plan“ stände. Und dafür sollen ‚Juden‘ verantwortlich sein. Ein verbreitete antisemitische Vorstellung: Juden sollen die geheimen Herrscher der Welt sein.

Die Nationale Aktionsfront NAF, gegründet 2014, tritt selten öffentlich in Erscheinung. Sie versteht sich als „Sammelbewegung völkisch-nationaler Gruppierungen in der deutschen bzw. alemannischen Schweiz“. In Wirklichkeit hat sie bis anhin wenig bewegt, abgesehen von der organisatorischen Unterstützung einiger rechtsextremer Aufmärsche der vergangenen Jahre, letztmals im November 2018, als die Partei National Orientierter Schweizer PNOS in Basel gegen den UN-Migrationspakt demonstrieren wollte. Eine Gegendemonstration zwang die paar Dutzend Rechtsextremisten dazu, ihre Kundgebung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Hinterhof durchzuziehen.

Verhaftet wegen Überwachungskameras
Zurück nach Brig und Naters. Kurz nach der Plakataktion verhaftet die Polizei – nach der Auswertung von Bildern mehrerer Überwachungskameras – zwei Oberwalliser, beide Jahrgang 1990. Einen dritten Tatbeteiligten kann die Polizei nicht identifizieren. Die Verhafteten schweigen. Im Juni 2018 verurteilt das Bezirksgericht Brig sie wegen Sachbeschädigung und Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm. (Das Urteil liegt der RA vor.) Die Aufkleber seien, so das Bezirksgericht „im Sinne einer kollektiven Behauptung zu sehen“, dass die jeweilige Sprachgruppe „als lästiges Ungeziefer“ zu sehen sei, welches „eliminiert“ werden solle. Strafverschärfend für einen der Angeklagten, er war bereits 2010 wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Strafe verurteilt worden. An der Berufsverhandlung vor dem Kantonsgericht Ende August bestritten die Verteidiger, dass die Beweise gegen die beiden Angeklagten ausreichen würden. Nach zweistündiger Verhandlung – so berichtet „Le Nouvelliste“ – hätten die Richter den Prozess vertagt. Knapp dreieinhalb Jahre nach der Tat macht die Walliser Justiz wieder einen Zwischenstopp.

 

Keine Eile auch in Thüringen
Ebenfalls nicht eilig haben es die Justizbehörden im deutschen Bundesland Thüringen. Dort läuft seit Ende April 2018 ein Verfahren gegen den 20-jährigen Nordulf H., zurzeit in Ausbildung zum Heizungsinstallateur in Visp. Eine kurze Zeit war sein Foto auf der Homepage der Ewald Gattlen AG  sichtbar gewesen, wie „Die Wochenzeitung WOZ“ im Mai 2019 berichtet. Er wird beschuldigt Ende April 2018 – zusammen mit einem Kameraden – zwei Journalisten verfolgt, verletzt und bestohlen zu haben. Ein Opfer erlitt eine schwere Kopfverletzung (Bruch des Stirnknochens), das andere Stichverletzungen. Anfang September 2019 kritisierte ein Opferanwalt in der „Frankfurter Rundschau“ die Strafverfolgungsbehörden unmissverständlich: Die Ermittlungen seien längst abgeschlossen, seit Anfang des Jahres liege die Anklage beim Gericht, doch habe dieses „noch nicht einmal über die Zulassung der Anklage entschieden.“ Die vorgeworfenen Straftaten sind happig (Schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung), der Strafrahmen ebenso, mehrere Jahre Freiheitsentzug.

Gegenüber dem Online-Magazin „Infosperber“ erklärt ein Sprecher der Ausbildungsfirma Ende Mai, das Unternehmen habe keine Kenntnis, „dass sich Angestellte von uns in einem radikalen Umfeld bewegen“. Nur: Es braucht wenig Recherchier-Aufwand um auf Heises Geschichte zu stossen. Sie wurde von vielen deutschen Medien aufgegriffen. Keine Überraschung: Vater Thorsten Heise zählt seit Jahrzehnten zu den bekanntesten Deutschen Neonazis. Aktuell ist er Vizepräsident der Nationaldemokratischen Partei Deutschland NPD. Er betreibt einen rechtsextremen Versandhandel und ein Rechtsrocklabel. Gemäss Recherchen der antifaschistischen Rechercheplattform Exif ist er eine „zentrale Figur“ im Netzwerk von Blood and Honour (Blut und Ehre), sowie von Combat 18 (Kampftruppe Adolf Hitler). Und seit Jahren veranstaltet er Konzerte, teils mit internationaler Beteiligung und weither gereisten Gästen. Auch aus dem Oberwallis.

Beziehungen? Zufall?
Die Frage ist naheliegend: Wie kommt der junge Mann zu einer Lehrstelle im Oberwallis? Zufall oder Beziehungen? Klar ist, Silvan Gex-Collet ist bei der Gattlen AG beschäftigt. Er ist seit vielen Jahren aktiv in der rechtsextremen Szene und – gemäss Urteil des Bezirksgericht Brig – „eigentlicher Hauptinitiant“ des Naziskin-Konzerts in Gamsen, im September 2005. Im Gedenken an Jan Stuart, Gründer des Netzwerks „Blood and Honour“. Schon damals war er Mitglied des Naziskin-Netzwerks. Klar ist auch, Vater Thorsten Heise hat bereits seit Jahren Verbindungen ins Oberwallis. Ein Foto zeigt Gex-Collet und Heise bereits 2014 zusammen in Ronca. Gemäss Informationen der Antifa Bern hat Heise mehrmals im Oberwallis Vorträge gehalten.

Nur wenige Wochen nach dem Angriff auf die Journalisten fand im Mai 2018 im thüringischen Ostritz das „Schirm und Schwert“-Festival statt, organisiert von Papa Heise. Angereist aus dem Oberwallis, Silvan Gex-Collet, mit ihm einer der beiden Angeschuldigten der Flugblattaktion.

Verbindungen bestehen weiter
Gestützt auf Antia-Recherchen lassen sich weitere Beziehungen zwischen dem Oberwallis und Thüringen nachweisen. Auch im Mai 2019 war Heise Hauptverantwortlicher für den „Eichsfeldtag“, der auch die Abschlusskundgebung zum Europawahlkampf der NPD war. Anwesend rund 130 Personen, darunter der Heise-Sohn. Ein Foto zeigt ihn in Begleitung zweier Oberwalliser. Einer trägt den Sweater der Street Society Oberwallis S.S.O.W, einer Fangruppe des FC Sion. Die RA hatte bereits im Herbst 2011 über deren „Kontakte zur Neonaziszene“ berichtet. Die Society verwahrte sich daraufhin in einem Leserbrief, eine rechtsextreme Gruppierung zu sein. Sie sähen sich „nicht verantwortlich“, die „Gesinnung einzelner Mitglieder“ zu kommentieren. Am Eichsfeldtag 2019 trägt der junge Oberwalliser bald seine politische Haltung deutlicher zur Schau, ein T-Shirt „Brotherhood. Imperial 28“, womit er sich zumindest als Sympathisant von Blood and Honour darstellt. Begleitet wird er von einem Mitglied der Kameradschaft Heimattreu, aktiv in der Region Ausserschwyz/St. Galler Linthtal. Auch diese Gruppe ist mit Blood and Honour verbunden.

Schon einmal
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Deutscher Rechtsextremist sich im Oberwallis vor der Justiz verbergen möchte. Im Juni 2011 berichtete die RA über Thomas K. (damals 21-jährig), der eine Zeitlang bei einer Ausserberger Firma als Gleisbauer arbeitete. Der Neonazi war in Deutschland zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden und weiterer rechtsextremer Taten beschuldigt. Nach RA-Recherchen wurde er in Auslieferungshaft gesetzt. Seither ist er von der Bildfläche verschwunden.

Hans Stutz
Rote Anneliese, Nummer 252, 1. Oktober 2019
Alle Rechte beim Verfasser.