Mehrere Männer, Teilnehmer eines feucht-fröhlichen Polterabends, stellen sich ihm – wie anderen Juden auch - in den Weg. Sie schreien „Heil Hitler“. Sie brüllen antisemitische Parolen. Sie zeigen den Hitlergruss. Sie beschimpfen ihn, mindestens einer bespuckt ihn. Eine Frau stellt sich dazwischen, mehrere Polizeipatrouillen beenden den Spuk. Die Stadtpolizei Zürich berichtet nicht über die antisemitische Attacke. Häufig bevorzugen Polizei-Medienstellen bei rassistischen Vorkommnissen zu schweigen, aus welchen Motiven auch immer.
Sonst geht alles seinen geordneten Gang: Die Strafbehörden eröffnen fünf Strafverfahren, drei stellt die Staatsanwaltschaft später wieder ein. Den Beschuldigten konnte sie keine konkrete Tatbeteiligung nachweisen. Einen Maurer aus dem Kanton St. Gallen verurteilt sie wegen Rassendiskriminierung zu einer happigen Geldstrafe.
Diese Woche stand nun der Haupttäter vor dem Obergericht Zürich. Kevin Gutmann, inzwischen 31-jährig, gelernter Metzger, bekannt als Sänger der Band „Amok“, die vorwiegend im Umfeld des Naziskin-Netzwerkes „Blood and Honour“ auftritt. Das Bezirksgericht Zürich hatte Gutmann im März 2018 zu zwei Jahren Freiheitsentzug verurteilt, darin enthalten der Widerruf zweier bedingter bzw. teilbedingter Vorstrafen.
Diesmal stiess der „Amok“-Sänger auf milde Richter: Kein Widerruf der beiden Vorstrafen, zwölf Monate Freiheitsentzug, was eine Strafverbüssung in Halbgefangenschaft ermöglicht. Konkret: Tagsüber am Arbeitsplatz, abends und am Wochenende im Knast.
„Eine letzte Chance“ sei das, begründete der Gerichtspräsident das Verdikt, auch weil das Verfahren lange gedauert habe und die Medien den Angeklagten „vorverurteilt“ hätten. Mit diesem Argument hatte auch der Verteidiger Stimmung für seinen Klienten zu machen versucht.
Tatsächlich spielten Medien in diesem Fall jene Rolle, die ihre staatspolitische Aufgabe ist. Erst Medienberichte bringen den antisemitischen Angriff der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Eine Tachles-Recherche bringt Einsicht in den Strafbefehl, wie auch den drei Einstellungsverfügungen. Damit werden auch Details der polizeilichen Ermittlungen öffentlich. Später beleuchten mehrere Journalisten das Umfeld des Angeklagten, besonders nach dem grossen Neonazi-Konzert in Unterwasser/Toggenburg, an dem rund 5000 Leute teilnahmen. Das ist nicht weiter überraschend bei einer Person, die seit rund fünfzehn Jahre öffentlich auftritt.
Zur Aufgabe der Medien gehört es auch, Justizkritik zu üben. Bei der kurzen mündlichen Urteilsbegründung meinte der Gerichtspräsident, dass sich der Angeklagte seit dem Angriff „zum Bessern zu verändern“ scheine, dieser sei nicht mehr als Musiker aufgetreten. In der Tat hatte dies der Angeklagte den Richtern weismachen wollen. Nur eben: Fotos belegen, dass Gutmann im Frühsommer 2017 als „Amok“-Sänger an einer Veranstaltung der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschland NPD aufgetreten ist. Ein anderes Foto zeigt ihn an Kampfsportveranstaltung im T-Shirt von „Blood and Honour“. Und das ist auch wenig überraschend. Vor Obergericht war Gutmann weder geständig, noch distanzierte er sich von seinen rassistischen und nationalsozialistischen Ansichten.