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«Wesentlich ist für uns, dass sie recht bald dorthin gehen, woher sie gekommen sind»

Den antisemitischen Mutmassungen erwuchs in der Innerschweiz zwischen Frontenfrühling und Ende des Zweiten Weltkrieges wenig Opposition. Die traditionelle katholische Judenfeindschaft spukte noch in den Köpfe vieler Katholisch-Konservativer herum. Einige happige Beispiele aus der Innerschweizer Geschichte.

Zum Buch Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern, 1933 – 1945

Der katholisch-konservative Antisemitismus konnte auch in den dreissiger Jahren auf den Segen der Kirche zählen. Im Früjahr/Sommer 1939 veröffentlichte der Luzerner Raeber-Verlag "im Auftrag des Apologetischen Instituts des Schweiz. Katholischen Volksvereins" das Buch "Die Judenfrage", versehen mit der "Druckerlaubnis des bischöflichen Ordinariates Basel" und verfasst vom Zürcher Studentenpfarrer Mario von Galli (1904-1987), der sich hinter dem Pseudonym Andreas Amsee verbarg. Der in Oesterreich geborene Jesuit, der anno 1937 aus Deutschland ausgewiesen worden war, erachtete Gesetzgebung gegen die Juden als gerechtfertigt: "Eine gerechte Selbstverteidigung und Wahrung der Güter des eigenen Volkes ist nicht Antisemitismus; denn sie muss letzten Endes den Juden selbst zum Besten gereichen." Den rassistischen Antisemitismus der deutschen Nationalsozialisten kritisierte er mit propethischer Klarsicht: "Die arische Lösung der Judenverfolgung bedeutet demnach nur den ersten Auftakt zur Versklavung und Vernichtung der gesamten semitischen und mediterranen Welt."

Anschliessend skizzierte der Theologe den "christlichen Standpunkt" und verbreitete Judenfeindschaft: "Zur Strafe für seine Entwurzelung aus Gott hat (Gott den Juden) aus dem Boden seiner Heimat entwurzelt und zum entwurzelten, heimatlosen 'ewigen Juden' gemacht." Der Jude erschien damit als Gegenentwurf zur Geistigen Landesverteidigung, welche die nationalistische Liebe zu Scholle und sesshaftem Leben propagierte. Die Juden, so die katholische Vorstellung, unterstützten die politischen Gegner der Katholisch-Konservativen: "Darum auch - (...) - sind (dem Juden) Bewegungen wie der Sozialismus und Kommunismus, überhaupt die gesichtslosen Internationalismen, obgleich sie nicht seine Schöpfungen waren, doch vielfach sehr sympathisch erschienen." Der katholische Antisemit folgerte, erst nach der Bekehrung aller Juden "wird das Judenproblem (....) sein Ende finden." Aber das werde seine Zeit dauern, denn, so der Verfasser, "ist der Jude ein Schädling der Völker geworden und selbst die Bekehrung wird, (...), durch das Taufwasser diese Eigenschaften nicht sogleich auszulöschen vermögen."

Damit ist der Theologe jener antisemitischer Hetze sehr nahe, die er wenige Buchseiten vorher kritisierte. Für Katholiken bestand auch kein Grund, sich für die verfolgten Juden einzusetzen: "Er, Gott, will den Juden als ewigen Juden. Er ist es im Grunde, der ihn bald zum Vertreter der verachtetesten Klasse des Mittelalters werden lässt, er ist es, der - nachdem diese Klasse zur vornehmsten der Welt gewandelt ist - nunmehr den Juden als Rasse verfolgt." Damit rechtfertigte Mario von Galli auch die nazistischen Judenverfolgungen. Diese ideologische Pirouette - einerseits den rassistischen Antisemitismus zu kritisieren, andererseits mit negativen Judenbildern antisemitische Vorurteile zu verbreiten und Verfolgungen zu rechtfertigen - vollführten auch viele katholisch-konservative Innerschweizer Politiker. Charakteristisch die Haltung des Zentralorgans der Katholisch-Konservativen, der inzwischen verschwundenen Tageszeitung "Vaterland". Was der Historiker Eric Dreifuss für die Jahre 1933-1938 befand, galt bis nach der Kriegswende in Stalingard. Die katholisch-konservative Tageszeitung hat nicht "die nationalsozialistischen Massnahmen gegen die Juden für in der Wurzel falsch, aber lediglich als im Ausmass übertrieben und in der Methode verfehlt gehalten." Dazu vier Beispiele. Nicht nur aus dem "Vaterland". Die ersten Judenboykotte vom 1. April 1933 kommentierte der Zuger Ständerat Philipp Etter: "Wir lehnen jede Verfolgung Andersdenkender aus Gründen der Rasse oder des religiösen Bekenntnisses grundsätzlich ab, die Judenverfolgung so gut wie jede andere. Die Tatsache ist freilich nicht in Abrede zu stellen, dass der jüdische Einfluss auf das deutsche Geistesleben in Kunst, Schrifttum und auf anderen Gebieten der Kultur von unheilvoller (Im Orginal hervorgehoben) Wirkung gewesen ist. Das Judentum hat zu viel zersetzende (Im Orginal hervorgehoben) Kräfte ins deutsche Volkstum hineingetragen." Ein knappes Jahr später wurde Etter unter dem Beifall der Frontisten zum Bundesrat gewählt.

Ein zweites Beispiel: Karl Wick, Nationalrat und Vaterland-Redaktor, einer der ideologischen Vordenker der Katholisch-Konservativen, schwadronierte 1935 von einer "fast absoluten Verjudung der Bankwelt". Wick lehnte Gewalt gegen Juden ab, verlangte aber jüdische Vorleistung und verbreitete antisemitische Vorstellungen: "Das Judentum darf das Volk, in welchem es lebt und wohnt, gewiss nicht zersetzen und nicht beherrschen, aber es darf in seiner Eigenexistenz auch nicht bedroht und nicht unterdrückt werden." Nach der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze im September 1935 meinte Vaterland-Redaktor Auf der Maur, dass "auch solche Gesetze als Gestrüppausrotter ihr Gutes hätten, aber ist der Geist ein guter, der sie geschaffen? Ist das nicht unmoralischer Rassenwahn, der weit übers Ziel hinausschiesst?"

Ebenso gut in einer Fröntlerzeitung hätte ein Artikel der Zuger Nachrichten stehen können, der eine frontistische Kampagne gegen die Einbürgerung von Menschen aus Osteuropa, meist Juden, begleitete: "(...), aber es tut einem doch im Herzen weh, wenn nun im Lande der Tellen und Winkelriede in Zukunft die finanziell gutgestellten Abrahame und Nathane die schönsten Plätze besetzt halten und an den Universitäten und in den Kaufhäusern ihre Sprösslinge anstelle der Nachkommen der Meier und Müller, der Hüsler und wie die guten Schweizernamen sind, den Platz und den Verdienst in unserm sonst überbevölkerten und zu engen Lande einnehmen." Den antisemitischen Vorhaltungen entsprach gelegentlich die politische Praxis. "Bravo" titelte Ende April 1933 der "Obwaldner Volksfreund" über die Meldung: "Der Urner Landrat hat mit grosser Mehrheit zwei Gesuche von polnischen Juden um die Erteilung des Kantonsbürgerrechtes abgewiesen, nachdem vorher die Gemeinden Wassen und Isenthal das Gemeindebürgerrecht erteilt hatten."

 

Innerschweizer Fröntler
Der moderate Antisemitismus war nicht die einzige Nähe zu frontistischen Vorstellungen. Im Frontenfrühling 1933 gründete die katholisch-konservative Ablehnung der Fronten meist auf der Kritik der Aeusserlichkeiten (militärische Aufmärsche, Hakenkreuz), nicht aber auf der Ablehnung der frontistischen Ideen. So schrieb Ende April 1933 der spätere Bundesrat Ludwig von Moos im "Obwaldner Volksfreund": "Es ist zu begrüssen, dass man alle Volksklassen vereint zur Aufrichtung einer neuen Schweiz aufrufen will, dass man dem Warenhausjudentum und der Weltfreimauerei den schärfsten Kampf ansagt. Soweit können wir die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Gruppen- und Frontenprogramme zumeist fast Satz für Satz unterstreichen." Von Moos' ideologische Frontennähe blieb, für die frontistische Freimaurer-Verbots-Initiative weibelte er im "Obwaldner Volksfreund".

Die Fröntler selbst erachteten die Innerschweiz als steinigen Boden, es gelang ihnen nie, an der institutionellen Politik teilzunehmen. Einige der führenden Schweizer Fröntler waren jedoch Innerschweizer. Der Sarner Wolf Wirz, Nachkomme einer einflussreichen Obwaldner Familie, gehörte über zehn Jahre lang zu den führenden Schweizer Fröntlern. Der reiche Luzerner Kunsthändler Hans Bossard, der um die Jahrhundertwende in Frankreich gelebt und bereits dort einer rechtsextremen und antisemitischen Organisation angehörte hatte, verlegte von 1936 bis 1939 den frontistischen "Eidgenoss", und verbreitete einen rassistischen Antisemitismus. Bossards engster Mitarbeiter war der Goldauer Adolf Füllemann, ein Unternehmer, der um 1920 Führer der Schweizerische Republikanische Bewegung gewesen war, die mit dem Slogan "Die Schweiz den Schweizern" geworben hatte und antisemitisch gewesen war.

Den rüden frontistischen Beschimpfungen folgten Taten. In den aufgehetzten Tagen des Frontenfrühlings brach im Juni 1933 ein Luzerner in die Synagoge ein und wütete im Synagogeninneren vandalisch. Der junge Mann wurde bald verhaftet, war nicht Mitglied einer Front, doch fand die Luzerner Polizei bei der Hausdurchsuchung eine antisemitische Hetzschrift, die der Täter kurz vor der Tat gelesen hatte. Im Frühling 1934 verwüstete ein betrunkener junger Mann den jüdischen Friedhof Luzern.

Im Sommer 1935 fand in Luzern der internationale Zionistenkongress statt. Wolf Wirz hetzte, der Kongress sei "eine Herausforderung der nationaldenkenden Schweizerbevölkerung." Und er schloss, es gelte "die Eidgenossenschaft wieder zu dem zu machen, was sie ursprünglich war - judenfrei." Während des Kongresses explodierten mehrere mit Sprengstoffen gefüllte Betonröhren in der Nähe des Kunsthauses, dem Tagungszentrum bzw. in der Nähe einer Massenunterkunft. Sowohl Stadt- wie Kantonspolizei verzichteten darauf, die Anschläge bekannt zu machen, die Täter blieben vorerst unbekannt.
In den folgenden Monaten tauchten gelegentlich in Luzern antisemitischen Kleber auf: "Dieses Geschäft befindet sich demmächst in Palästina". Im Herbst 1937 explodierte vor dem Schaufenster eines jüdischen Warenhauses in der Luzerner Altstadt eine Petarde und kurz darauf wurden vier Luzerner festgenommen. Drei Männer waren Mitglied der Nationalen Front, der vierte, Besitzer eines kleinen Druckergeschäftes, war aus geschäftlichen Gründen nicht in die Front eingetreten. Drei der Verhafteten wurden verurteilt, der eine zu einer unbedingten Gefängnisstrafe, der zweite zu einer bedingten Gefängnisstrafe, der dritte zu einer Busse. Der vierte wurde freigesprochen.

 

Schützenhilfe von seiten der Kleingewerbler
Es gab in der Innerschweiz noch einen zweiten Strang latent antisemitischer Gesinnung, nämlich den kleingewerblichen, in dem die Kritik an den grossen Kapitalien an den Juden festgemacht wurde. Im Winter 1933 begann das Zuger "Gewerbeblatt" einen Artikel über die Schweizer Juden: "Eines der Hauptziele des Judentums war schon lange, riesige Reichtümer anzusammeln, um mit diesen grossen Einfluss auszuüben. Dieses Ziel ist ziemlich erreicht, unermessliche Reichtümer sind in den Händen der Juden. Bereits besteht die Gefahr, dass wir Christen unter die Herrschaft jüdischer Geldmächte gelangen könnten." Der kleingewerbliche Kampf gegen Warenhäuser lief immer Gefahr, einen antisemitischen Unterton zu bekommen.

Auch im Kanton Luzern war bereits um die Jahrhundertwende eine "Geschäftswehr" gegründet worden, welche gegen Warenhäuser ankämpfte. Im Frühling 1938 hetzte der Redaktor des "Kompass, Zeitschrift des Detaillistenverbandes des Kantons Luzern". Der Anlass war nichtig, ein Luzerner mit einem jüdischen Namen, der nicht Mitglied der jüdischen Gemeinde war, trat bei der offiziellen Gründungsversammlung der Luzerner Ortsgruppe des Landesringes auf, worauf der Kompass-Redaktor und Amtsstatthalter Johannes Schwendimann geiferte: Das "jüdische Element" habe auch "wackere Pionier- und Zungenarbeit" bei der Neugründung geleistet, die "einen ausgesprochen materialistischen Hintergrund hat und jeden Idealismus entbehrt". Die Jüdische Gemeinde Luzern warnte vor der Verallgemeinerung, man könne "die Juden nicht für die Tat irgend eines einzelnen" verantwortlich machen." Daraufhin veröffentlichte Schwendimann ein "Streiflicht auf das Weltjudentum" und schloss antisemitisch und fettgedruckt: "Wer wob in Theorie und Praxis an den Fäden jenes Netzes, mit welchem die Spinne des Weltwuchertums Millionen der Mittlern und Kleinen umgarnt, wirtschaftlich aufsaugt und allmählich vernichtet? Wer anders als jüdische Wissenschaftler und ihre 'christlichen' Nachbeter!" Schwendimann erhielt frontistischen Beifall: "Die Front" druckte einen längeren Auszug des "Kompass"-Artikels. Dieser Hetze widersprach ausnahmsweise ein Politiker öffentlich, ein sozialdemokratischer Luzerner Grossrat befand, Schwendimann sei dem "raffinierten Appell" nationalsozialistischer Propaganda erlegen.

Gewerbetreibende scheuten sich nicht, Antisemitismus als Druckmittel im Geschäftsleben einzusetzen. Im Februar 1940 schrieb ein jüdischer Luzerner Geschäftsinhaber, bereits mehrfach öffentlich vom Luzerner Detaillisten-Verband angegriffen und eingeklagt, an seinen Anwalt: Ein Herr aus dem Vorstand des Detailistenverbandes sei beim ihm vorbeigekommen. "Er erklärte mir unverblümt, dass wenn ich es wagen sollte einen Prozess gegen den Dataillistenverband zu führen eine Kampagne gegen die jüdische Bevölkerung eingeleitet werde (durch entsprechende Artikel im Kompass) ausserdem aber werde man mich derart in die Zange nehmen, dass man so etwas noch nie erlebt habe, es gebe dazu Mittel und Wege etc. etc."

Die eidgenössische Politik und die Pressezensur
Innerschweizer Kantone widersprachen auch nicht der bundesrätlichen Politik: "Die Abwehr des Juden, zumal des fremden Juden, als Leitmotiv des eidgenössischen Antisemitismus ist auch der Bezugpunkt für die judenfeindliche Flüchtlingspolitik seit 1933." So der Berner Historiker Jacques Picard in seinem umfassenden Buch "Die Schweiz und die Juden, 1933-1945". Der Bundesrat lehnte jüdische Flüchtlinge ab, indem er vorgab, den Antisemitismus zu bekämpfen: "Wenn wir einer unseres Landes unwürdigen antisemitischen Bewegung nicht berechtigten Boden schaffen wollen, müssen wir uns mit aller Kraft und wenn nötig mit Rücksichtslosigkeit der Zuwanderung ausländischer Juden erwehren, ganz besonders vom Osten her."

Die bundesrätliche Politik führten in den Kantonen die Fremdenpolizisten engherzig aus. Bereits im März 1933 hatte der Bundesrat befunden, die Schweiz müsse sich gegen die Niederlassung "wesensfremder Elemente" wehren. Im Frühling/Sommer 1934 übernahmen (in Entlebuch/Kanton Luzern) drei deutsche Juden eine marode Spanplattenfirma und sanierten sie innert kurzer Zeit. Die Uebernahme geschah gegen den Widerstand anonymer Zeitgenossen. Schon während den Verhandlungen erlitt der Schweizer Direktor der Sperrholzfirma nächtliche anonyme telephonische Drohungen: "Hier ist die nationalsozialistische Partei der Schweiz. Sie stehen in Unterhandlung mit Juden. Wir warnen Sie davor. Lassen Sie davon ab, sonst werden Sie die Konsequenzen zu ziehen haben." Just in jenen Monaten organisierte die Nationale Front, Ortsgruppe Luzern im Entlebucher Dorf Hasle einen Vortragsabend.

Selbst dem katholisch-konservative Regierungsrat und Nationalrat (Heinrich Walther) war im April 1934 "auf den ersten Blick" die "Aufenthalts- & Arbeitsbewilligung" für die deutschen Juden "sehr wenig sympathisch". Doch die Not war gross, insbesondere auch für die Spar- & Leihkasse Entlebuch. Die aus Deutschland geflohenen Juden erhielten eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung, blieben aber unwillkommen. Letzter Anstoss, die Schweiz zu verlassen, gab ein Brief der Fremdenpolizei, der Sohn eines Fabrikmitbesitzers werde in der Schweiz nie eine Arbeitsbewilligung erhalten. Ein Schweizer Holzhändler und Konkurrrent erwarb die Firma. Ob sich der behördliche Druck zur Ausreise auf die Verkaufserlös ausgewirkt hat, liess sich nicht eruieren.

Die fremdenpolizeiliche Behandlung der unerwünschten Menschen geschah mit bürokratischer Distanziertheit. Gelegentlich schimmert in den Akten der Antisemitismus von Polizisten durch, so in der Bemerkung eines Luzerner Fremdenpolizisten, der sich im September 1948 über einen jüdischen Flüchtling äusserte, der das Arbeitsverbot übertreten hatte: "X. ist der typische geschäftstüchtige Ostjude".

Ab 1939 verhinderte die militärische Pressezensur vielfach das Erscheinen von Meldungen über die nazideutsche Judenverfolgung. Antisemitische Aeusserungen erschienen trotz der Zensur. Wiederholt antisemitisch, gelegentlich antifreimaurerisch äusserte sich der Pfarrer von Schwarzenberg (bei Luzern) Siegfried Emmenegger sowohl in der Sempacher-Zeitung als auch im "Katholischen Volksboten", deren Redaktor er war. Der pfarrherrliche Antisemit unterstützte im Herbst 1942 auch eine rüde Kampagne gegen Flüchtlinge, die der Schweizerische Vaterländische Verband im Herbst 1942 unter der Führung von Eugen Bircher führte. Siegfried Emmenegger wiederholte in mehreren Artikeln alle antisemitischen Vorurteile und warnte vor der Rettung vom Tode verfolgter Juden: "Also mögen die Schweizer Mitleid üben, wo es am Platze ist, aber aufpassen, dass uns nicht zu viel Juden im Lande bleiben, sich sesshaft machen und später unfehlbar schlimmen Einfluss ausüben. Wir haben schon genug Zersetzungen, die eine Landesgefahr nach innen und aussen bedeuten!"
Gelegentlich intervernierte allerdings auch die Pressezensoren gegen antisemitische Beschimpfungen. Eine Beanstandung erhielt der "Trienger-Anzeiger" nach der Veröffentlichung einer dreiteiligen Serie "Die Judenfrage", einer Aufzählung aller antisemitischen Vorurteile: "Und den Christenleut wird man wieder einhämmern müssen, dass sie grössenteils selbst schuld sind, dass die Juden sie wirtschaftlich knechten und knuten." Die Formulierungen seien, befand Presse-Zensor HD Albert Zgraggen, zivil Luzerner Obergerichtsschreiber, "zum Teil geeignet, die Volksstimmung gegen die Juden einzunehmen und damit die Einigkeit zu gefährden".
Wachsamer blieb die Luzerner Pressezensur gegen die Verurteilung der nazideutschen Judenvernichtung. Pressezensor Zgraggen rügte noch im Juli 1944 einen Artikel von Vaterland-Redaktor Karl Wick, der die Judenausrottung in Ungarn und Polen heftig kritisiert, auch von "Exekutionslagern mit Gaskammern und Leichenhochöfen" geschrieben hatte. Der Artikel verstosse "gegen die durch die Verhältnisse gebotene Zurückhaltung", befand der Zensor. Noch im September 1944 schrieb der Luzerner Pressezensor HD Alois Troller, zivil Jurist: "Wir haben das Nationalsozialistische Regime als Regierung eines befreundeten Staates zu achten."

 

Reaktionen auf den Holocaust
In den Akten der Sektion Heer und Haus finden sich "Stimmungsberichte" über die antisemitischen Stimmungen: Ende März 1943 warnte beispielsweise Wachtmeister Wilhelm Schelbert, wohnhaft in Muotathal, militärisch eingeteilt in der Geb. Füs. Kp II/86: "Weiter ist zu sagen, dass die Leute in der Innerschweiz und auch die Leute in unserer Kompagnie im allgemein stark gegen die Juden eingestellt sind und eine Judenhetze eine sark antisemitische Strömung hervorrufen könnte. Auch die Flüchtlinge rufen wenig Mitleid hervor, sobald es sich um Isrealiten handelt." Und der Sarner Landwirt Josef Leuchtmann berichtete Ende Februar 1944: "Man hört ziemlich viel von den Juden. In einigen Kreisen werden sie ganz besonders schwarz angestrichen. Man ging so weit und sagte, sie hätten den Krieg angezettelt, um die Nichtjuden zu unterjochen und damit sie den finanziellen Vorteil daraus ziehen können. Damit sie nach dem Kriege eine neue Ordnung schaffen können, aber ganz nach jüdischem Vorbild. Es gibt sogar Leute, die fest behaupten, dass die ganz Schweiz unter jüdischem Einfluss stehe."
Es gab schon im Sommer 1942 auch in der Innerschweiz Menschen, die ahnten, was die deutschen Nazis den JüdInnen in ihrem Herrschaftsbereich antaten. So berichtet im Januar 1944 ein Luzerner Anwalt von seinen Bemühungen, die er in der zweiten Jahreshälfte 1942 unternommen hatte, um eine verwitwete in Hamburg wohnhafte Jüdin zu retten. Er berichtete von der Hinterlegung von zuerst 5'000 Dollar, dann von 50'000 Franken, und von Verhandlungen mit Naziagenten, auf die er sich eingelassen hatte, "weil ein mir nahestehendes Menschenleben auf dem Spiel stand". Der Anwalt verhandelte, bis er direkt aus Hamburg erfuhr, dass die Jüdin "endgültig deportiert worden und nicht mehr auffindbar sei."

Die Einquartierung von Flüchtlingen, teils ehemaligen jüdischen KZ-Häftlingen, in Luzerner Hotels aktivierte Luzerner Fremdenfeinde. In einem Polizeirapport verwünschte auch ein Polizeiwachtmeister die Flüchtlinge: "Wesentlich ist für uns, dass sie recht bald dorthin gehen, woher sie gekommen sind." Die Abneigung äusserte sich in Schikanen und Zurückstellungen. Gegen die internierten Flüchtlinge erliess die Lagerleitung ein eng gefasstes Ausgangsrayon, für den Besuch der Synagoge wussten sie lange Zeit eine "Spezialbewilligung" einholen. Auch durften sie die Luzerner Quaianlagen nicht betreten. Rücksicht auf die Hoteliers, die um ihre Gäste fürchteten.
Der Gemeinderat von Weggis intervenierte im November 1944, damit "von der in Aussicht genommenen Belegung des Kurortes Weggis mit ca. 600-800 jüdischen Flüchtlinge abgesehen werde und zwar hauptsächlich deswegen, weil eine solche Einquartierung das Renomme des Kurortes Weggis weitgehend zerstören würde und weil durch die fast ausschliessliche Beanspruchung der Fremdenbetten zu Einquartierungszwecken die von der Gemeindebehörde, dem Hotelierverein und den Verkehrsverbänden mit grosser Mühe und erheblichen Kosten wieder auf die Vorkriegshöhe gebrachte Weggiser Saison mit einem Schlage wieder zunichte würde." Der Luzerner Regierungsrat unterstützte das antisemitische Ansinnen: äWir sind überzeugt, dass mindestens die Hälfte der für Weggis vorgesehenen Flüchtlinge anderswo unterbracht werden kann, wo weniger grosser Schaden entstehen wird."

 

Geschichtsverdrängung
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur und nachdem die Schweizerinnen und Schweizer erfahren hatten, welches unvorstellbare Mass die Judenverfolgung angenommen hatte und auch nachdem das schweizerische bundesrätliche Vollmachtenregime abgebaut worden war, wollte ein Teil der Schweizer Bevölkerung, insbesondere die Sozialdemokraten, Aufklärung über die Verbindungen von Schweizer Bürgerlichen zu deutschen Nazis. Auch die Innerschweizer Katholisch-Konservativen wollten weder demokratische Diskussion noch Vergangenheitsbewältigung, sie wollten Vergangenheitsverdrängung.

Aber von Zeit zu Zeit meldete sich das Gedächtnis zurück. So 1969, als die kleine Oppositionszeitschrift "Neutralität", herausgegeben vom Journalisten Paul Ignaz Vogel, den Rücktritt von Bundesrat Ludwig von Moos verlangte, da dieser ab September 1935 als alleinverantwortlicher Redaktor am "Obwaldner Volksfreund" eine grosse Zahl antisemitischer Artikel drucken liess. Die "Neutralität" publizierte eine Vielzahl von Passagen und beschrieb Bundesrat Ludwig von Moos, der eben für die Herausgabe des demokratiefeindlichen Zivilverteidungsbuch verantwortlich zeichnte: "Er redigierte Antisemitismen, er war Antikommunist, kämpfte gegen Liberale und Sozialisten, bewunderte Mussolini, Franco und Salazar. Was ihn von Hitler trennte: die nationalsozialistische Kirchenpolitik, nach dem Anschluss Oesterreichs ans Reich auch die Militärpolitik." Es sei hier nur ein besonders übles antisemitisches Stück aus dem Obwaldner Volksfreund erwähnt. Am 21. Juli 1937 stand in einem redaktionellen Artikel über jüdische Viehhändler: "... - wo die Juden ernstlich Fuss fassen, wächst für die Christen wenig Gras mehr, weil sie weniger zusammenhalten und nicht so mitleidlos sind - ...." Der publizistisch Aufschrei im Winter 1969/1970 war gross. Das "Vaterland" schrieb von einer "im besten McCarthy-Stil gestarteten Rufmordaktion" und setzte sich mit den Vorwürfen nicht weiter auseinander.

Aehnlich aufgeregt war der publizistische Aufschrei, als das Schweizer Radio vor Ostern 1989 bekanntmachte, dass die Stumpenfirma Villiger, Pfäffikon, Kanton Luzern vom Nazidruck auf jüdische Firmen profitierte und nicht wie in der Firmenchronik vorgegaukelt, sich aus Deutschland zurückgezogen hatte. Fast alle bürgerlichen Zeitungen, auch die Innnerschweizer, beschimpften die RadiojournalistInnen und unterliessen es, den Vorwürfen nachzugehen. Als Monate später der beauftragte Gutachter und Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis, ein FDP-Parteimitglied wie Villiger, die Fakten bestätigte, sogar schrieb, eine "nicht einbezogene Dokumentation hätte es möglich gemacht, das Firmenverhalten noch stärker zu kritisieren", da erschienen in den Tageszeitungen nur kurze Agenturmeldungen, so als ob man sich nicht erinnern wollte, weder an den einstigen weisswaschenden Kommentar, noch an die ungastlichen Aeusserungen von Innerschweizer Honorationen.

Hans Stutz
WochenZeitung, 1. September 1995
Alle Rechte beim Verfasser.