Im April 1942 wurde der jüdische Viehhändler Arthur Bloch auf Geheiss von schweizerischen Nazisympathisanten umgebracht. Mit diesem Exempel sollten weitere Morde ausgelöst und den in der Schweiz lebenden Juden zusätzlich Angst eingejagt werden. Bereits 1973 hat Werner Rings in seiner Fernsehserie auf dieses Verbrechen hingewiesen. Yvan Dalain und Jacques Pilet haben 1977 einen Film plus Buch produziert und Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, die inzwischen nicht mehr leben. Nun hat sich Hans Stutz, ein ausgewiesener Experte in Fragen des Rassismus und Rechtsextremismus, ebenfalls des Themas angenommen. Warum?
Stutz schildert ohne lange Erklärungen und theoretische Diskussionen den Tatvorgang, das Vorleben der Täter und den Prozessverlauf, alles eingehend und faktennah - und entsprechend spannend und anschaulich. Er kann sich dabei offenbar auf erst neuerdings freigegebene Gerichtsakten stützen; doch es geht offensichtlich nicht darum, der Geschichtswissenschaft kleinere Neuigkeiten anzubieten. Was der Autor mit der Geschichte will, muss sich der Leser schon selbst zusammenreimen, und er kann sich das auch, zumal ein paar redaktionelle Zwischenbemerkungen ihm dabei behilflich sind.
Stutz ist es offensichtlich ein Anliegen, die Mordtat besser, als es bisher geschehen ist, in den gesellschaftlichen Kontext einzubetten und auf bestimmte Voraussetzungen zurückzuführen. Er verfolgt damit eine Gegentendenz zu der zeitgenössischen Tendenz, den Mord entweder als «bedauerlichen Zwischenfall» schnell abzutun oder als Nachahmung einer nichtschweizerischen Ideologie («nicht auf unserem Boden gewachsen») von sich zu weisen oder pauschal verharmlosend einfach der «Dynamik der Zeit» zuzuschreiben. Wichtig ist dem Autor die Feststellung, dass die am Mordfall Beteiligten vor der Tat als gewöhnliche Angehörige einer Dorfgemeinschaft angesehen wurde, nach der Tat aber plötzlich als speziell gewalttätig und psychisch wie moralisch mangelhaft abgetan worden seien.
Die Justiz (im ersten Prozess von 1943 ein Geschworenengericht) schneidet gut ab in dieser Geschichte. Die Tatbeteiligten bekommen teils lebenslänglich, teils 20 Jahre Zuchthaus, in allen Fällen die Maximalstrafe. Nicht nur den Anstifter, der sich nicht selber die Hände blutig machte, sondern auch den Anstifter den Anstifters, den bekannten Frontisten und ehemaligen Pastor Philippe Lugrin, ereilte 1947 das Strafrecht. Die minuziösen Abklärungen der Justiz zur Frage, wer Gehilfe war, wer gestossen, wer geschlagen, wer geschossen und wer schliesslich die Leiche zerschnitten hat, stehen, so unerlässlich sie für eine sorgfältige Rechtsfindung sind, in einem markanten Gegensatz zum Desinteresse eben an den gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen der Tat.
Hans Stutz liefert diese Abklärungen gleichsam nach und macht bewusst, dass ein wesentlich grösserer Kreis mitverantwortlich gewesen ist. Zum Beispiel die «Ligue vaudoise» mit ihren wiederholten antisemitischen Ausfällen. Hier spricht der Autor Klartext: Einerseits würden die Ausschreitungen «draussen in Deutschland» verurteilt, andererseits würden im eigenen Land bei jeder Gelegenheit antisemitische Kollektivurteile verbreitet. Manche würden die Tat von Payerne am liebsten als Raubdelikt deuten, um das zentrale Motiv des Antisemitismus nicht wahrnehmen zu müssen. Und die lokale Presse scheint mindestens so sehr zu bedauern, dass diese «bandits» den Namen von Payerne in traurige Schlagzeilen gebracht haben. Die bekannte Audienz-Affäre (Bundespräsident Pilet-Golaz empfing im September 1940 einige Frontistenführer) wirkte beschwingend auf die frontistische Basis im Land, Flugblattaktionen auslöste und die Mitgliederwerbung intensivierte. Man erfährt aber auch, wie die diplomatische Vertretung des Dritten Reiches die berechtigten Hinweise auf die schädliche Wirkung der NS-Propaganda ihrerseits wortreich als antideutsche Propaganda abtat.
Georg Kreis
Hans Stutz: Der Judenmord von Payerne.
Zürich Rotpunktverlag 2000. 137 S. 29 Fr.
Basler Zeitung; 10.05.2001; Seite 12;