Der Luzerner Journalist Hans Stutz hat seine Geschichte der "Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933-1945" erst nach langjährigen Querelen abschliessen können. Obschon vom Luzerner Stadtarchivar 1989 mit dieser Recherche beauftragt, stiess das "unerwünschte Thema" (so der Historiker Jürg Stadelmann) auf nachhaltigen Widerstand. Vom Staatsarchivar wie vom Bundesarchiv seien ihm zuerst Dossiers vorenthalten worden, berichtet der Autor. Später sträubten sich stadtbekannte Familien, vor allem in katholisch-konservativen Kreisen, gegen die kritische Darstellung. Erst mit dem Amtsantritt des neuen Luzerner Stadtpräsidenten Urs W. Studer kam das brisante Kapitel zur jüngeren Lokalgeschichte zum Abschluss. Laut Autor ohne Einschränkungen und ohne Einsicht der Betroffenen, wie das der frühere Stadtpräsident Kurzmeyer gewünscht hatte. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus machten heute "die Auseinandersetzung mit dunklen Flecken unserer lokalhistorischen Vergangenheit um so dringender", schreibt Urs W. Studer im Vorwort des Buches.*
Die Synagoge verwüstet
Im Frontenfrühling von 1933 tauchte die Hakenkreuzfahne auch in Luzern auf. Die Fröntler hatten sie beim Gasthaus "Metzgeren", mitten in der Altstadt, herausgehängt. Sie waren jedoch mit Pfiffen und Schimpfworten eingedeckt worden und hatten die Versammlung über die Hintertreppe verlassen müssen. Die Frontisten und Nationalsozialisten blieben in Luzern aber präsent, wie Hans Stutz in seiner akribischen Spurensuche aufdeckt. Die Nationale Bewegung zählte in der Stadt über 180 Mitglieder, die Eidgenössische Sammlung traf sich unter der Hakenkreuzfahne im Kunsthaus. Seit 1932 existierte in Luzern, von den Behörden bis knapp vor Kriegsende geduldet, auch eine Ortsgruppe der NSDAP. Die deutsche Kolonie hatte ihr eigenes Heim, wo sie Erntedankfeste durchführte und Propagandafilme zeigte. Stutz registriert antisemitische Tendenzen. Frontisten verwüsteten die Synagoge, schändeten den jüdischen Friedhof und zündeten 1935 beim Zionistenkongress Petarden. Antisemitische Zettel und Schmähplakate tauchten auf, jüdische Flüchtlinge waren unerwünscht. So durften die im Hotel "Tivoli" untergebrachten Flüchtlinge die Quaianlagen nicht betreten, und in Weggis wehrte sich der Gemeinderat gegen die Belegung mit 600 bis 800 jüdischen Flüchtlingen, weil "eine solche Einquartierung das Renommé des Kurorts Weggis weitgehend zerstören würde".
Fröntlerversammlung gesprengt
In der Bevölkerung stiessen die Fröntler auf Widerspruch. Eine Massenkundgebung, von der Nationalen Front im Juli 1933 im "Löwengarten" angesetzt, sprengten die Liberalen (in Anwesenheit des städtischen Polizeidirektors) mit 1500 eigenen Leuten. Am Schluss verabschiedeten sie eine antifrontistische Resolution. Als die Nazis vor dem Deutschen Heim, dem "braunen Haus", die Hakenkreuzfahne hissten, protestierten 1000 Personen auf der Frankenstrasse. Deutschen Touristen wurden die Nazi-Wimpel vom Auto gerissen. Geschäftsleute, die den Nationalsozialisten nahestanden, wurden boykottiert und mussten ihren Laden zumachen. Im Gegensatz zu Zürich, wo die Frontisten ins Stadtparlament einzogen, oder zu Schaffhausen, wo sie am 1. August den Redner stellten, blieben die Luzerner Rechtsextremisten in der politischen Landschaft isoliert und gelangten nie zu grösserem Einfluss. Die Parteien verweigerten die Zusammenarbeit. In der Innerschweiz, wo die Sozialdemokraten keine zentrale Rolle spielten, sahen sich die Bürgerlichen nicht veranlasst, mit den Rechtsextremisten zusammenzuspannen.
Frontistische Initiative unterstützt
Die Haltung war nicht immer eindeutig. Die Liberalen lehnten die Fronten zwar klar ab, hielten aber die Opposition gegen die Nazis mit Rücksicht auf den Tourismus lieber auf kleiner Flamme. Und die Katholisch-Konservativen betonten "ihre Nähe zum frontistischen Gedankengut", wie Hans Stutz schreibt. So wurde die frontistische Initiative zur Totalrevision der Bundesverfassung von den Jungkonservativen unterstützt, weil sie ebenfalls für eine berufsständische Ordnung und einen autoritären Staat eintraten.
Tages-Anzeiger, 4. November 1997