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Judenmord in der Schweiz

Das Verbrechen von Payerne

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1942 C. W. Am 16. April 1942 haben in der waadtländischen Kleinstadt Payerne vier Männer, angestiftet vom lokalen Anführer der Nationalen Bewegung der Schweiz, den Berner Viehhändler Arthur Bloch in einen Hinterhalt gelockt, erschlagen und erschossen, die Leiche zerstückelt und in Milchkannen im Neuenburgersee versenkt. Die Tat galt einem Juden und sollte der Einschüchterung, ja auch als Fanal dienen – ohne als politischer Terrorakt propagandistisch «begleitet» zu werden. Ein Geschworenengericht verurteilte 1943 drei der Beteiligten zu lebenslänglichen Zuchthausstrafen; ein minderjähriger Mittäter und ein Helfer erhielten 20 beziehungsweise 15 Jahre Freiheitsentzug. Der politisch-psychologische Hintermann, Philippe Lugrin, der mit Hilfe des deutschen Konsulats nach Paris und dann nach Frankfurt geflohen war, wurde 1947 wegen Anstiftung zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. 1977 publizierte Jacques Pilet über das «Nazi-Verbrechen von Payerne» parallel zu einem Fernsehbeitrag ein Buch, gestützt auf Zeitungsberichte und namentlich auch auf Gespräche mit Tätern und Zeugen. Nun hat Hans Stutz, ebenfalls Journalist, zusätzlich die Gerichtsakten und andere zugänglich gewordene Archivalien ausgewertet und das Geschehen nochmals in Reportageform vergegenwärtigt. Der Befund ist weitgehend der gleiche, was die Fakten und die Interpretation betrifft. Der 34-jährige unmittelbare Anstifter, ein ambitiöser, beruflich erfolgloser, ressentimentgeladener Sohn eines Garagenbesitzers, handelte in ideologischer Verblendung und Gehorsamswahn; zum unfassbaren brutalen Akt kam es indessen auf dem «Boden» eines diffusen Antisemitismus und einer konkreten Passivität gegenüber Propagandaaktivitäten und Gewaltgesten einer verbotenen nazistischen Gruppe.
Stutz, der den Judenmord in den Titel setzt, webt allerdings seine Deutung und Beurteilung in manchmal etwas penetranter Weise in die Darstellung ein, kürzt sogar einzelne Stellen aus Pilet zurecht. Dieser hingegen differenziert und will namentlich die lokalen Umstände nicht verallgemeinern. Ohnehin kann auch durch blosses Hinstellen von Fakten ein Eindruck provoziert werden. Dass beispielsweise die Organe der Zensur den politischen Charakter der Untat zuerst unterdrücken wollten, liesse sich durchaus verstehen aus dem Interesse der Behörden, die Schweiz nicht als subversionsanfällig erscheinen zu lassen. Doch historische Erwägungen finden in dieser Form politischer Geschichtsschreibung wenig Platz.

Neue Zürcher Zeitung