Die frontistische und nationalsozialistische Bewegung blieb in Luzern lächerliche Marginalie. Ein paar unbedarfte Tröpfe brüsteten sich mit antisemitischen und antidemokratischen Sprüchen. Viel mehr war da im Grunde nicht. Diese Formulierung als Fazit einer Buchlektüre mag irritierend klingen. Hätte es der 200seitigen Dokumentation von Hans Stutz über die Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern etwa gar nicht bedurft? Und waren die jahrelangen Querelen um deren Herausgabe vergebens? Eine Seldwyler Lokalposse? Mitnichten.
Seit Hans Stutz vor gut acht Jahren mit seinen Recherchen zum Thema begonnen hat, sind diese von einer ausdauerenden Diskussion über Rechte und Pflichten der lokalhistorischen Forschung begleitet worden, von Fragen um Archiveinsicht und Persönlichkeitsrechte. Erschwerend haben sich darin aber auch die Schwierigkeiten um Umgang mit der Geschichte generell gespiegelt. Lokalhistorie muss sich gegen die Ansprüche der Nachgeborenen durchsetzen.
Viele Namen, keine Prominenz
Oberflächlich besehen scheint das Wirken der braunen Fronten diesen Streit nicht zu rechtfertigen. In Luzern blieben sie auf eine kleine Schar beschränkt, die sich aus Handwerkern und Vertretern, einigen Juristen und vor allem aus Offizieren zusammensetzte. Sensationelle Erfolge konnten diese versprengten Fanatikern indes nicht erzielen, aufsehenerregende Aktionen blieben selten. Vielmehr war das Innenleben dieser "Erneuerungsbewegung" durch permanente Umstruktierungen geprägt: Nationale Front, Volksbund, Volksfront, Nationale Bewegung der Schweiz, Eidgenössische Sammlung. Viele Namen, meist die gleichen Mitglieder und voran der derselbe Ortsgruppenführer Emil Sonderegger. Lokale Prominenz war darunter kaum auszumachen. Mangels spektaktulären Begebenheiten dokumentiert Hans Stutz diese frontistsichen Aktivitäten daher in akribischer Detailtreue, zu der ihn seine gute Aktenkenntnis befähigt. Flugblattkaktionen, geheime Treffen, ein "Stützpunkt Hasle" bei Lehrer Aregger und so weiter. Redlich weist er auch darauf hin, wenn einzelne Angaben im nachhinein nicht mehr schlüssig nachzuweisen sind. Doch wie gesagt, rechtfertigt dies allein die späte Erregung nicht.
Die eigentliche Brisanz dieses Buches liegt anderswo, nämlich in den Randbezirken des untersuchten Themas. Bei den etablierten Parteien stiessen die Fronten nicht einhellig auf Widerspruch. Im Gegenteil, die Parolen, die sie mit meist unbedarfter Rhetorik verbreiteten, wussten Teil der bürgerlichen Elite viel subtiler auszudrücken. Insbesondere innerhalb der katholisch-konservativen und der christlichsozialen Partei manifestierte sich in den dreissiger Jahren eine hohe Empfänglichkeit für antisemitische und ständestaatliche Parolen. Der "Luzerner Landbote" bestätigte nicht ohne Stolz, dass die Grundideen der Frontisten, "längst im katholisch-konservativen Programm enthalten" seien. Hans Stutz bestätigt auf lokaler Ebene, was Studien von Hans Ulrich Jost und Aram Mattioli für die gesamt Schweiz festgestellt haben. In der Hoffnung auf einen christlichen Obrigkeitsstaat wurde in konservativen Kreisen der christliche Antisemitismus mobilisiert, der sich konkret gegen die Aufnahme der heimatlosen Juden sperrte. Nach aussen bewirkte dies in Luzern eine zwiespältige Behördenpraxis. Den jüdischen Flüchtlingen wurde das Flanieren am Quai untersagt, dafür wurden frontistische Offiziere zur Beförderung empfohlen. Die NSDAP-Ortsgruppe Luzern konnte wiederholt im städtischen Kunsthaus tagen, Kundgebungen der Linken aber blieben verboten.
Diese ambivalente Haltung kennzeichnete besonders gestandene Konservative, die im Sog der Fronten endlich die Chance für eine Erneuerung des liberalen Staates gekommen sahen. Zum Beispiel den Nationalrat Heinrich Walther oder den "Vaterland"-Redaktor und Nationalrat Karl Wick. Ersterer liess sich durch die frontistische Gesinnung seines Freundes Hans Bossard nicht sonderlich stören und gestand gegenüber einem anderen Fröntler die "ziemlich starke" Verwandtschaft seiner Gedanken mit jenen der Frontisten. Auch das katholisch-konservative Sprachrohr Wick pries noch im Herbst 1942 das "Genie Mussolini", das den "entarteten Parlamentarismus" überwunden habe. Dass derselbe zwei Jahre später die Judenausrottung dezidiert kritisierte, war weder Heuchelei noch ein Widerspruch, sondern Zeichen des tiefen Zwiespalts und der durchlässigen Grenzen zwischen konservativen und faschistischen Grundideen.
Anpasserische Kleinmütige
Dass sich die Freisinnigen dabei etwas weniger exponierten, lag vor allem daran, dass sie in frontistischen Parolen gerne als "liberale Plutokratenpartei" mit Juden, Freimaurern und Linken in einen Topf geworfen wurden. Wie anfällig jedoch auch ihre Kreise mitunter waren, belegt der LP-Stadtpräsident Zimmerli. Als die Sozialdemokraten gegen eine Hakenkreuzfahne protestierten, die im "Deutschen Haus" zum Erntedankfest 1935 aus dem Fenster gehängt wurde, bezeichnete Zimmerli dies als Votum der "Strasse", die keinesfalls "das letzte Wort" haben dürfe. Der politischen Elite fiel zum Thema Fronten freilich erschreckend wenig ein. Auf der anderen Seite deutet der erwähnte Fahnen-Protest an, dass die Bevölkerung weit über linke Kreise hinaus den frontistischen Umtrieben mit Unbehagen und Wut begegnete. Ohne den Langmut der Eliten wurden Geschäfte von Nazis boykottiert oder Hakenkreuzfähnchen von Autos deutscher Touristen gerissen. Schliesslich gingen auch zwei Initiativen, die von den Fronten lanciert und von Teilen der bürgerlichen Politiker mitgetragen wurden, mit deutlicher Mehrheit bachab. Diese und ähnliche Ergebnisse deuten die Ablehnung der Fronten in der Bevölkerung zumindest an.
Summa summarum bietet die stichhaltige, grundlegende Dokumentation von Hans Stutz keinen Grund zur voreiligen Verunglimpfung. Sie ist frei von Polemik. Wenn sie gleichwohl herausfordert, so vor allem jene, die heute ihre politischen Wegbereiter lieber als mutige Landesverteidiger denn als anpasserisch Kleinmütige sehen möchten. Dagegen ermöglicht es der lokalhistorische Blick auf das übergreifende Thema, anhand spezifischer Fälle die Kernfunktion der Schweizer Frontenbewegung anzudeuten. Bis weit ins bürgerliche Lager diente sie konservativen Kräften als ideologische Aktivierungsenergie, um das eigene Unbehagen an der liberalen Demokratie zu formulieren, ohne selbst als extrem abgestempelt zu werden. Als dann 1945 der richtige, der kalte Krieg losging, standen sie so bereits gemeinsam auf Posten, um es, wie Karl Wick schrieb, den "roten Nazis" zu zeigen. Nicht wenige sind dabei stehengeblieben, doch das ist eine andere Geschichte.
Beat Mazenauer
luzern heute, 6. November 1997