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Nächsten Montag beginnt in Lausanne der Prozess gegen Gaston-Armand Amaudruz. Der 79-Jährige ist seit fünfzig Jahren eine Hauptfigur unter den Schweizer Rechtsextremen.

Die Wohnung weckt den Schauer jedes Demokraten: "Hinten im Zimmer, unter einer Standarte des Dritten Reichs mit Reichsadler und Hakenkreuz hing ein riesiges Hitlerbild. Daneben eine Sammlung von Orden und Ehrenzeichen, Eiserne Kreuze, Wimpel, Waffen, Bilder, Flaggen von Reichsgauen ..." Aber auch der Wohnungsinhaber, ein kleingewachsener Mann mit hagerer Gestalt und welken Augen, verbreitet Ungemach: Er "stellte sein Bierglas auf das Tischchen, marschierte stramm auf das Hitlerbild zu. Zwei Meter davor blieb er stehen, erstarrte, schlug schneidig die Absätze zusammen, hob den Arm: ‚Heil Hitler!'."

Mollendruz nennt der Waadtländer Schriftsteller Jacques Chessex im Roman "Der Kinderfresser" diese Nazifigur, deren offensichtliches Vorbild der heute 79jährigen Lausanner Gaston-Armand Amaudruz ist, der zeit seines Erwachsenenlebens für die weisse Rasse und ein nationalsozialistisches Europa kämpfte. Mollendruz alias Amaudruz, so Chessex weiter, "war ein trauriger Zechkumpan: man hielt ihn für einen bemitleidenswerten Kerl, einen Halbidioten".

"Intelligent und beruflich tüchtig"
Als "intelligenten und beruflich tüchtigen Mann" betrachtet die Bundespolizei 1951 in einem internen Bericht den Lausanner, der damals als Versicherungsangestellter arbeitet. Sie war erstmals 1941, zur Zeit der grössten Ausdehnung des Hitlerreiches, auf den Sohn einer Deutschen aufmerksam geworden. (Siehe Kasten). Wie viele andere sprach Amaudruz später nicht mehr von seiner Tätigkeit in der Kriegszeit.
Die Verbrechen des Nazistaates schienen den Nationalsozialismus damals für lange Zeit zu diskreditieren. Doch die Kriegsschäden waren noch nicht beseitigt, begannen sich Unverbesserliche bereits wieder zu sammeln. Der junge Amaudruz gehört zu den ersten Nazis, die öffentlich in die Rolle eines Nachkriegsnazis schlüpften. Ab 1946 ist er Mitarbeiter eines in Genf erscheinenden Heftes "Courrier du continent". "Im Frühjahr 1947 wurde A. Herausgeber und Redaktor dieser Zeitschrift", beobachtet die Bundespolizei. 1949 veröffentlicht Amaudruz "Ubu justicier", ein Buch über die Nürnberger Prozesse. "A. lobt darin die Nationalsozialisten und verurteilt die Prozesse von Nürnberg", kommentiert die Bundespolizei.

Bereits zwei Jahre später beklagt er in der deutschen Rechtsextremisten-Zeitschrift "Europa erwache" den Sieg der Allierten: "Sie haben Europa verraten, während Adolf Hitler sein Möglichstes tat, um es zu retten". Als "Gesellschaftsordnung" habe der Nationalsozialismus "einen bewundernswerten Versuch dargestellt". Amaudruz freut sich über die neonazistischen Gründungen, das "Movimento sociale italiano" in Italien und die Sozialistische Reichspartei in Deutschland, die allerdings bald wieder verboten wird. Er lobt die ersten einschlägigen "persönlichen Unternehmungen" in der Schweiz, zum Beispiel "Der Turmwacht", herausgegeben vom einstigen Frontisten Werner Meyer. In diesem Heft publiziert der einst nazideutschland-freundliche Oberst Gustav Däniker, aber auch Amaudruz veröffentlicht Eindrücke von politischen Reisen durch Österreich und von einem neofaschistischen Kongress in Rom.

Diese journalistische Tätigkeit sieht Amaudruz als gemässigten Teil seiner politischen Arbeit. "Es ist auch notwendig", schreibt er 1951, "dass sich eine entschlossene Gruppe bildet, die alle zu unserer Rettung notwendigen Ideen verbreitet, mittels bescheidener vervielfältigter Veröffentlichungen, in denen keinerlei Kompromiss aus Zweckmässigkeitsgründen gemacht wird". Der Absicht folgen Taten. Mitte Oktober desselben Jahres gründet er zusammen mit dem Winterthurer Sulzer-Arbeiter Erwin Vollenweider die Volkspartei der Schweiz (VPS), die gemäss Programm für "europäische Wesensart und die weisse Rasse" eintrat. Die VPS geht bald wieder ein. Die Zeit für neonazistische Neugründungen mit wahrnehmbarer politischer Ausstrahlung sollte in der Schweiz erst zwanzig Jahre später kommen. Länger überlebt die zweite Neugründung, die Amaudruz und Vollenweider im September 1951 in Zürich starten: Die Neue Europäische Ordnung (ENO). Unter den fünf Gründungsmitglieder aus vier Ländern befindet sich auch ein Ehemaliger der Waffen-SS. Die NOE-Aktivisten treffen sich in den folgenden Jahrzehnten mindestens neunzehnmal in verschiedenen Ländern zu Kongressen. Letztmals 1991 im elsässischen Hagenau. Der Erfolg ist bescheiden. Das Protokoll der NOE-Tagung von 1967 erwähnt "fünfzehn zahlende Mitglieder". Das Programm jedoch bleibt über Jahrzehnte rassistisch und eugenisch. In der "Zürcher Deklaration" von 1951 fordert die ENO staatliche Regelungen für "Heiraten zwischen Europäern und Nichteuropäern", weiter die Rückkehr der "eingeborenen Gruppe in ihre überlieferten Räume" und "ärztlich und wissenschaftlich ausgearbeitete Massnahmen" zur Verbesserung des "Erbgutes unserer Völker".

Gegen das Antirassismus-Gesetz
Amaudruz ist der aktivste ENO-ENO-Exponent, seit 1951 redigiert und vertreibt er den "Courrier du continent" als "Bulletin du Nouvel Ordre Européen". Als ENO-Generalsekretär pflegt er Kontakte zu vielen europäischen Neo-Nazis und wird zu einem wichtigen Figur der neo-faschistischen Internationalen. In seinem Buchversand verbreitet er einschlägige Literatur. In den 80er-Jahren wirbt er in deutschen Rechtsextremistenheften speziell auch für das Buches seines Freundes Thies Christophersen "Die Auschwitzlüge", ein Hauptwerk der ersten Generation der Holocaust-Leugner. "Verbotene Bücher gibt es bei uns nicht", behauptet er. Als Mitte der 80er-Jahre die Vorarbeiten zu einer Rassismus-Strafnorm beginnen, gehört der Lausanner zu den ersten, die das Vorhaben als "Maulkorbgesetz" zu verunglimpfen versuchen.

Bis anhin haben Amaudruz und seine Kameraden im politischen Schatten gearbeitet, aus dem sie nur vorübergehend durch einige gegnerischen Presseattacken gerissen wurden. Nun aber, nach der Konstituierung einer nationalistischen parlamentarischen Rechten (Schwarzenbachs Republikaner und die Nationale Aktion) gründen alte Nazi-Nostalgiker und junge Hitlerfans verschiedene Gruppen, die gelegentlich öffentlich auftreten. Anfang der 70er-Jahre belebt der Zürcher Psychiater Heinz Manz die Studentenverbindung Arminia als Saufclub für Hitlerfans und Konsorten. Um 1975 gründen verschiedene Abtrünnige die Nationale Basis Schweiz (NBS), später einige junge Basler um Jürgen Künzli die Volkssozialistische Partei der Schweiz. Amaudruz wird zur zentralen Figur der "Nationalen Koordination" (NK), in der sich Vertreter verschiedener "nationalistischer Kräfte" (Eigeneinschätzung), von der Nationalen Aktion bis zu den Polit-Schlägern der Patriotischen Front sammeln. Ende der 80er-Jahre besuchen jeweils mehrere Dutzend Nazis die Sitzungen.

Die NK organisiert im "Kleinen Frontenfrühling" (Jürg Frischknecht) von 1989 die erste rechsextremistische Strassenkundgebung seit Ende des Zweiten Weltkrieges: Mitte August 1989 treffen sich auf dem Kornmarkt in Luzern, neben rund 20 Journalisten und Fotografen, ungefähr dreissig Rechtsextremisten, darunter einige Patriotische Fröntler, einige Skinheads, einige ältere Waadtländer Rassisten. "Sofortige Rückkehr aller Afro-Asiaten in ihre Länder" steht auf einem Transparent. Amaudruz und Marcel Strebel halten kurze Reden.

Als die zentrale Figur der kleinen aber wachsenden Neonazi-Szene sieht Amaudruz bereits 1989 in Christoph Blocher eine politische Chance: "Endlich ein Systempolitiker, der die Augen aufmacht." Amaudruz kann bis Mitte der 90er-Jahre AUNS-Mitglied bleiben. Im April 1994 nimmt er an der Strategiesitzung der Gegner der Rassismus-Strafnorm teil, präsidiert vom Hallauer SVP-Antisemiten Emil Rahm. Unmittelbar bevor das Antirassismus-Gesetz in Kraft tritt, löst Amaudruz seinen Buchversand auf. Im März 1995 schreibt er vom Holocaust als einen "Mythos" ("des faits mythiques"). Nach einer Strafanzeige doppelt er im Juli 1995 nach: "Ich glaube nicht an Gaskammern", wofür er sich nun juristisch verantworten muss. Bereits 1970 schrieb er über die nationalsozialistischen Judenverfolgungen, man könne nicht von einem "Völkermord" sprechen, zwar seien Exzesse begangen worden, aber alle Kriegsparteien hätten "ähnliches auf dem Gewissen", als sei der Holocaust eine Kriegshandlung gewesen.

Amaudruz war seit Jahrzehnten klar: Wer Nationalsozialismus wieder politfähig machen will, muss den Holocaust, die geplante und industriell betriebene Vernichtung der europäischen Juden und der Sinti und Roma, verharmlosen oder leugnen. Zum Prozess, der am Montag vor dem Lausanner Bezirksgericht beginnt, wird daher wohl auch zu einem Treffen von Europas brauner Szene.

Kasten
Die Kriegsjahre
Gaston-Armand Amaudruz, geboren 1920, begann seine politische Tätigkeit bereits in den Kriegsjahren. Wie Akten der Bundespolizei belegen, welche die Weltwoche im Bundesarchiv einsehen konnte.

Als Zwanzigjähriger versucht Amaudruz die Gründung eines "Mouvement Eurafrique" und nennt sich "Generalsekretär". Die Bewegung will einen Staat, der Europa, den Nahen Osten und ganz Afrika umfasst. Ein weitgehend von Amaudruz verfasstes Manifest, äussert sich nicht zur Frage der Staatsform (Faschistische Diktatur oder Demokratie?), ausser dass die Parole "Disziplin" heisse. Das Projekt sei eine "Bewegung nationalsozialistischer Tendenz" urteilt die Politische Polizei. Die Gruppierung scheitert vor ihrer konstituierenden Sitzung. Die Herausgabe des Manifestes wird "wegen neutralitätswidrigen Inhalts" vereitelt. Der bundespolizeiliche Rapport enthält allerdings wenig stichhaltige Belege. Amaudruz' Mutter, eine gebürtige Deutsche, sei "deutschfreundlich" und ihr Sohn "teile vollständig die politischen Ideen seiner Mutter." Die Mutter lebe in prekären finanziellen Verhältnissen und während des Gymnasiums habe der Sohn gelegentlich hungern müssen.
Im Sommer 1944 unterhält Amaudruz Kontakte mit einem Mitarbeiter der Deutschen Gesandtschaft in Bern. Seit vielen Jahren hält sich das Gerücht, Amaudruz habe vergeblich versucht, in die Waffen-SS einzutreten. Beweise gibt es keine.