Auch im Jahre 2013 war es vorwiegend die muslimische Gemeinschaft, die Diffamierungen und Anfeindungen ausgesetzt war, bis hin zu einer neuen diskriminierenden Bestimmung (Burkaverbot im Kanton Tessin). In den Medien sind Berichte über rassistische Vorfälle seltener geworden, bei den Beratungsstellen suchen mehr Opfer Rat und Unterstützung.
«Einer dieser zum Glück wenigen rassistischen Momente fand einmal nach der Schule statt. Ich sass zuvorderst im Bus, und eine Frau kaufte gerade beim Busfahrer ein Ticket.» Sie sei Schweizerin gewesen, und die beiden hätten sich gekannt und noch eine Weile miteinander gesprochen. Anschliessend habe sich die Frau an einen Platz gesetzt. «Danach stieg eine andere Frau in den Bus und wollte ebenfalls ein Ticket kaufen», erzählt Agnesa. Die Frau habe lange schwarze Haare gehabt und dunkle Haut. «Sie nannte dem Chauffeur den Zielort und fragte nach dem Preis. Der Busfahrer antwortete jedoch: «Dort hinten ist ein Automat. Lösen Sie dort ein Ticket.» Die Frau habe ihn, erstaunt über dessen Verhalten, daraufhin gefragt: «Warum darf ich denn nicht bei Ihnen mein Ticket bezahlen?» Er habe geantwortet, erzählt Agnesa: «Ja, also geben Sie her. Ich will nicht mehr diskutieren.» Die Frau habe bezahlt und sich an den Platz gesetzt. «Da hat der Chauffeur halblaut und für mich hörbar gesagt: «Typisch Ausländer! Kapieren ja gar nichts.»
Agnesa Fetaj (16) berichtet im Thuner Tagblatt, 5. Februar 2013
Mitte Dezember 2013 befand der Europäische Menschenrechtsgerichtshof EMRK, die Schweiz habe die Meinungsäusserungsfreiheit des türkischen Politikers Doğu Perinçek missachtet, weil ihn das Schweizer Bundesgericht letztinstanzlich der Leugnung eines Völkermordes (Genozid an den Armeniern 1915/16) schuldig befunden hatte. Das Urteil aus Strassburg erntete den Beifall jener Schweizer Politiker, die seit vielen Jahren die Rassismus-Strafnorm einengen oder auch ganz abschaffen. Der ehemalige Bundesrat Christoph Blocher (SVP), der im Herbst 2006 nach einer Türkeireise erfolglos eine Änderung der Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) vorgeschlagen hatte, befand, für einmal habe das Gericht in Strassburg richtig entschieden und kündigte an, dass die SVP in der kommenden Session mit einer Motion eine Änderung des Rassismusgesetzes verlangen werde. Auch diesmal scheinen die Chancen gering und der Vorstoss ist erst noch unnötig: Noch immer hängig ist eine Motion von Oscar Freysinger, der sich auf unzutreffende Behauptungen von Holocaust-Leugnern stützt, indem er behauptet, die Strafnorm stehe «im krassen Gegensatz» zum internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 2. Eine offensichtlich unzutreffende Begründung, aber ganz im Sinne von Slobodan Despot, seit Herbst 2013 persönlicher Mitarbeiter des SVP-Regierungsrates. Despot leugnet seit Jahren den Völkermord von Srebrenica 3.
Die Rassismus-Strafnorm ist seit Anfang 1995 in Kraft. Ihre restriktive Anwendung ist auf der Homepage der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) umfassend dokumentiert 4. Bis Ende 2012 ergingen insgesamt 364 (materielle) Entscheide, davon 54 Freisprüche. Die EKR-Zusammenfassung listet auch ein Urteil auf, das bis anhin in der Öffentlichkeit unerwähnt blieb. Die «Chronologie Rassismus in der Schweiz» der GRA und GMS (nachfolgend «Chronologie» genannt) berichtete von einem Architekten aus dem Kanton Zürich, der mehrere Bücher als pdf-Dateien verbreitete, die entweder den Holocaust leugneten oder – wie die Protokolle der Weisen von Zion – zu den bekanntesten Werken eines hetzerischen Antisemitismus gehören 5. Nun ist der Verantwortliche im Jahr 2012 in erster Instanz rechtsgültig zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden 6. Das Gericht ordnete auch an, dass das Internet-Angebot vom Netz genommen werden müsse.
Die Chronologie dokumentiert für die vergangenen Jahre nur noch wenige Angriffe auf die körperliche Integrität, im Gegensatz zum Beginn der 1990er-Jahre. Anders sieht es in der Beratungspraxis aus. Das Fazit für das letzte verfügbare Jahr (2012): «Die ‚schwerwiegenderen’ Fälle haben im Vergleich zum letzten Berichtsjahr (2011) zugenommen: 14x Angriffe auf körperliche Integrität (Zunahme +9), davon 4 Mal im Wohnquartier, 4 Mal mit Beteiligung der Polizei, 3 Mal in Gaststätten und 3 Mal im öffentlichen Raum; 22x Drohungen (+8); 3x rechtsextreme Aufmärsche oder Versammlungen (+3)» 7. Bei den elf Beratungsstellen sind 2012 insgesamt 196 Fälle gemeldet worden. Die Vorfälle kommen, gemäss den Beobachtungen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung, «in allen Lebensbereichen vor; bei der Wohnungssuche, im Arbeitsleben, im Spital, beim Gang zur Behörde, beim Sport oder im Ausgang» 8.
Eine Untersuchung des Bundesamtes für Statistik zwischen 2010 und 2012 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Insgesamt 9,1 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung ab 19 Jahren gaben an, Opfer mindestens einer diskriminierenden oder rassistischen Handlung geworden zu sein, entweder wegen der Staatsangehörigkeit, der Religion, der ethnischen Herkunft, der Hautfarbe oder anderer äusserer Merkmale. Bei den ausländischen Staatsangehörigen betrug der Anteil 18, bei den Schweizerinnen und Schweizern 6,5 Prozent. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (10.9 gegenüber 7.7 Prozent), bei den ausländischen Staatsangehörigen sind über 20 Prozent betroffen (20.8 %), wovon Frauen 14,7 Prozent.
Wie lassen sich die unterschiedlichen Zahlen erklären? Die Chronologie stützt sich vorwiegend auf Medienberichte, doch viele Opfer rassistischer Vorfälle wollen keine Berichterstattung, ja sie wollen selbst gegenüber Beratungsstellen anonym bleiben. (Aus Furcht? Aus Scham? Aus Resignation? Misstrauen in Polizei/Justiz?) Die Zahl der Beratungsstellen jedoch hat zugenommen, was die Zahl der erfassten Fälle erhöht. Auf der anderen Seite gibt es weniger aktive antirassistische Gruppen, die in ihrer Region rassistische Vorfälle öffentlich machen können. Dazu kommt: Die Zahl der Tageszeitungen ist gesunken und die wenigen Zeitungen verfügen über geringere Redaktionsbudgets, was eigene Recherchen weniger wahrscheinlich macht.
In den Foren mehrerer Online-Portale, wie dem Newsnet des Tamedia-Konzerns, häufen sich nach Beiträgen zu Ausländern, Islam, Personenfreizügigkeit – trotz redaktioneller Moderation – Beiträge, die mehr oder mehr weniger offen rassistisch sind oder zumindest rassistische Anspielungen enthalten. 9
Die Forderung nach «Integration» dient als Rechtfertigung für die Erschwerung des Zugangs zu den politischen Rechten (Bürgerrechte). Sowohl eidgenössisch wie auch kantonal werden die Anforderungen höher geschraubt, so dass es vor allem für Menschen, die aus den Ländern ausserhalb der Europäischen Union 10 stammen und bildungsfernen Schichten angehören und/oder mit geringem Einkommen leben müssen, schwierig wird, sie noch alle erfüllen zu können. Einige diskriminierende Vorschläge sind politisch mehrheitsfähig, sei es das Minarettverbot, sei es ein Kopftuchverbot.
Zwischenfazit: Rassistische Gewalt wird selten in der Öffentlichkeit thematisiert, sichtbarer sind Diskriminierungen, die nicht publik werden. Sie kommen, gemäss den Beobachtungen der Fachstelle für Rassismusbekämpfung, «in allen Lebensbereichen vor; bei der Wohnungssuche, im Arbeitsleben, im Spital, beim Gang zur Behörde, beim Sport oder im Ausgang.»
Muslimfeindschaft/Islamophobie
Die Diffamation des Islams hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Europa verändert. Noch Anfang der 1990er Jahre sollte der diskreditierende Verweis auf den Islam die ‚Fremdheit’ von Ausländern (wie aus der Türkei) zusätzlich betonen 11, heute zielt die Islamophobie direkt auf die Religion, der die gesellschaftliche Existenzberechtigung abgesprochen wird, indem sie pauschal als homogen und unveränderbar begriffen, als Antipode zum «Westen» aufgebaut und als Inbegriff von Rückschritt und Gewalt ausgegrenzt wird.
Ende September 2013 befürworteten im Kanton Tessin rund zwei Drittel der Stimmenden ein «Verhüllungsverbot». Der Initiant Giorgio Ghiringhelli verdeutlichte das eigentliche Ziel durch den Zusatz, dass keine Person aufgrund ihres Geschlechtes gezwungen werden darf, das Gesicht zu verhüllen und dass er vor allem Burka und Nikab im Visier habe und weniger randalierende Hooligans. Das Bundesparlament muss noch darüber befinden, ob die Bestimmung bundesrechtskonform ist 12. Nach dem schweizerischen Minarett-Verbot wäre dies eine zweite diskriminierende Bestimmung, die nach einer gewonnen Volksabstimmung rechtsgültig wird.
Gescheitert ist im Kanton Thurgau eine Initiative eines überparteilichen Komitees. Bekanntester Exponent: Willy Schmidhauser, ehemaliger Präsident der Schweizer Demokraten (SD) des Kantons Thurgau. Der Vorstoss wollte verhindern, dass der Koran oder andere islamische Sakralschriften an Schulen gelehrt werden. Der Thurgauer Grosse Rat erklärte das Begehen für ungültig, das Bundesgericht stützte diesen Entscheid, es erachte die Initiative «als diskriminierend» 13.
Islamophobe Positionen verbreitet neu – neben der «Weltwoche» (Chefredaktor Roger Köppel) und der «Schweizerzeit (Chefredaktor Ulrich Schlüer) - die «Basler Zeitung» BaZ, geführt vom Chefredaktor Markus Somm, einst Biograf von Christoph Blocher. Der redaktionelle Kurswechsel nach dem Besitzerwechsel ist offensichtlich. Besondere Aufmerksamkeit erlangte im Frühling ein Artikel des stellvertretenden Chefredaktors Thomas Wehrli. Sein Fazit: «Der Islam, so friedlich er auch dreinblicken kann, hat in seiner radikalsten Ausprägung ein anderes Gesicht. Eine hässliche Fratze ist es, die kein Pardon kennt, die nur eines im Blick hat: Die Weltherrschaft.» 14 Der angerufene Presserat befand, der BaZ-Redaktor habe «mit diesem Amalgam zwischen berechtigter Kritik am islamistischen Fundamentalismus und Terrorismus und diskriminierenden Aussagen über den Islam» gegen die Pflicht verstossen, «auf diskriminierende Anspielungen gegenüber religiösen Gemeinschaften und andere Minderheiten zu verzichten» 15.
Ein Blick auf die unterschiedlichen Motive Islamophober gewährte ein weiterer BaZ-Text, diesmal verfasst von «Daniel Wahl», überschrieben "Basler Muslime rufen zum heiligen Krieg auf", gefolgt vom Lead «Muslime verteilen in Basel regelmässig Hetzschriften mit expliziten Aufrufen, Juden und Christen zu töten und ihnen ihr Geld wegzunehmen - die Basler Religionsbeauftragte schaut weg.» Der Sachverhalt: Konvertiten des fundamentalistischen "Islamischen Zentralrat Schweiz", die nach ihren Angaben nicht arabisch sprechen, verteilen bei ihren Standaktionen auch Bücher in arabischer Sprache. In zwei dieser Bücher, offenbar aus Saudi-Arabien stammend, stehen - gemäss der BaZ - fundamentalistische Interpretationen des Korans 16. Tage später macht die «TagesWoche» bekannt, dass der islamophobe Schreiber Wahl einer intensiv missionarisch tätigen Pfingstgemeinde angehört. 17
Die Muslimfeindschaft wird in der Schweiz vorwiegend von rechtsbürgerlichen Isolationisten (wie «Schweizerzeit»-Verleger Ulrich Schlüer, der seine politische Laufbahn als Sekretär von James Schwarzenbach begann) und von politisierenden evangelikalen Aktivisten betrieben, beispielsweise Daniel Zingg, einer der Initianten des Minarettverbotes.
Antisemitismus
Latenter Antisemitismus ist seit langem eine Konstante in der Schweizer Gesellschaft, er kann nach unterschiedlichen Anlässen verstärkt an die Oberfläche treten. Auch der jährliche Antisemitismusbericht der GRA und des SIG 18 weist darauf hin, dass die Zahl der registrierten Vorfälle in der Schweiz verhältnismässig tief sei und dass körperliche Übergriffe und andere gravierende Vorfälle die Ausnahme seien. Regelmässiger Auslöser für antisemitische Äusserungen und Aktivitäten – in der Öffentlichkeit und im Privatbereich – ist der Konflikt zwischen dem Staat Israel und den Palästinensern. Dieser kannte im Jahr 2013 keine heisse Phase. In der Westschweiz machen sich – sowohl im Internet wie als Musiker – subkulturelle Aktivisten bemerkbar, die unter dem Siegel «antizionistisch» antisemitische Botschaften verbreiten 19.
Antisemitismus ist weiterhin konstituierender Bestandteil rechtsextremer Ideologien. Ausgesprochen aggressiv war dieses Jahr ein Twitterer aus dem Kanton Glarus, der grobschlächtige rassistische und antisemitische Inhalte verbreitete 20. Auch in rechtsextremen Blogs oder Veröffentlichungen tauchen immer wieder antisemitische Anspielungen auf, ebenso bei Verschwörungsphantasten wie Manfred Petrisch alias Freeman in seinem Blog «Alles Schall und Rauch».
Auf seiner Homepage verbreitet der Genfer Journalist Frank Brunner seit Jahren regelmässig antisemitische Beiträge und Bemerkungen, auch unterstützt er immer wieder Holocaustleugner wie Robert Faurisson. Auch der Holocaustleugner René-Louis Berclaz veröffentliche auf seinem Blog antisemitische Texte; unbeachtet von den Strafbehörden verbreitet er Schriften, die offensichtlich gegen die Rassismus-Strafnorm verstossen, beispielsweise «Der Internationale Jude» von Henry Ford.
Rassismus gegen Schwarze
«Du warst ziemlich hellhäutig. Und immer wieder die Fragen und Kommentare. (…) Einmal kam eine Frau mich besuchen, und wir sassen im Vorzimmer mit dir. Ich stillte dich. Und eine Frau kam herein und fragte, ob dies mein Baby sei. (…) Ich dachte: Hält die mich für eine Art Sklavin, die der weissen Herrin das Kind stillt?»
Zeedah Meierhofer-Mangeli
«Am ersten Tag in der Sekundarschule mussten wir uns vor dem Pult der Lehrerin aufreihen. Und als ich vorne war, hat mich ein Junge weggeschubst und gesagt: ‚Steh wieder hinten an, du Schoggibaum.’ Niemand hat reagiert. (…) Wir hatten sogar eine Gruppe im Schulhaus, die sich Hitler-Jugend nannte, und die haben mich verprügelt. ‚Geh heim Baumwolle pflücken’, sagten sie.»
Alexa Meierhofer
Siehe dazu: Shelley Berlowitz, Elisabeth Joris, Zeedah Meierhofer-Mangeli (Hrsg.): ‚Terra incognita? Der Treffpunkt Schwarzer Frauen’. Limmat Verlag, Zürich, 2013.
Anfang August 2013 berichtet die Fernsehmoderatorin Oprah Winfrey, wie eine Verkäuferin einer Zürcher Nobelboutique ihr zu verstehen gegeben habe, dass sie wohl nicht zahlungskräftig genug sei für den Kauf einer exquisit teuren Ledertasche. Der Rassismusvorwurf der bekanntlich vermögenden US-Bürgerin schlägt mediale Wellen in vielen Ländern, besonders in der Schweiz. Ob der Vorwurf von Rassismus wirklich gerechtfertigt ist, bleibt ungeklärt.
Fakt ist: Angehörige von Minderheiten kommen in den Schweizer Medien selten zu Wort. Oder anders ausgedrückt: Medien berichten über Minderheiten, ihre Vertreterinnen kommen nur selten zu Worte.
Fakt ist auch: In der Schweiz leben einige Zehntausende Menschen schwarzer Hautfarbe. Aber nur die Westschweizer Tageszeitung «24heures» befragt zwei Männer und eine Frau schwarzer Hautfarbe. Die beiden Männer berichten von häufigen, ja fast täglichen Vorfällen. Und Carmel Fröhlicher-Stines, Psychologin, auch Verfasserin einer Studie über die Lebenssituation von Menschen schwarzer Hautfarbe in der Schweiz, berichtet Ähnliches wie Winfrey: Wenn sie in eine Boutique trete, folge ihr immer eine Verkäuferin bei jedem Schritt. In einem «Tagesanzeiger»-Leserbrief berichtet ein Zürcher: «Meine Frau stammt aus Afrika, sie ist Schweizerin, sie spricht Schweizerdeutsch, sie ist eine gepflegte Erscheinung, doch sie wurde schon mehrmals in teuren Zürcher Geschäften wegen ihrer Hautfarbe nicht bedient.» Auch «andere Afrikanerinnen» hätten ihnen darüber berichtet.
Solche Diskriminierungen sind in den Tagen der «Täschligate»-Medienaufregung kein Thema. Einige Journalisten schreiben von den «nettesten Rassisten der Welt», als ob nicht jede Diskreditierung, Diffamierung und Diskriminierung für Opfer immer entehrend sei. Andere Schreiber diskreditieren die Botin Oprah Winfrey, der «Tagesanzeiger»-Sektenspezialist Hugo Stamm beispielsweise psychologisiert, alles sei «lediglich die narzisstische Verletzung einer Frau, die erwartet, dass sich die Welt um sie dreht». Eine ebenso simple wie unbelegte Diagnose ohne persönliche Begegnung mit der Vor- und Nachverurteilten. Zwei «Weltwoche»-Journalisten behaupten, es sei «offensichtlich», dass es «ein ernstzunehmendes Rassismusproblem» nicht gäbe. Vor allem aber sei es «Medien und Mahnern» nicht gelungen, «robuste Fälle von Fremdenfeindlichkeit ans Licht zu bringen».
Hat sich die Schweizer Gesellschaft zurückbewegt? Bereits Ende der 1980er Jahre wollte die offizielle Schweiz Rassismus nicht wahrnehmen. In einer Fernsehdiskussion tadelte Bundesrat Flavio Cotti (CVP) den Schriftsteller Peter Bichsel: «Aber reden sie doch nicht von Rassismus in diesem Land.» Nur: In jenen Monaten hatten sich rassistisch motivierte Angriffe gegen AsylbewerberInnen gehäuft, in verschiedenen Kantonen der Deutschschweiz waren rechtsextreme Gruppen öffentlich aufgetreten.
Romafeindlichkeit, Feindlichkeit gegen Fahrende und Jenische
Menschen, die in nomadisierenden Gruppen leben, ernten den Argwohn und die Feindseligkeit der Ansässigen. Seit vielen Jahrhunderten, verstärkt im 19. Jahrhundert bei der Herausbildung der europäischen Nationalstaaten: Nationale Mehrheiten grenzen ethnische Minderheiten aus und verfolgen sie, bis hin zur Vernichtung 21. Das Ende der realsozialistischen Herrschaftssysteme brachte den Angehörigen der osteuropäischen Roma zwar politische und gesellschaftliche Freiheiten, doch ebenso wirtschaftliche Misere und Diskriminierung. In der Schweiz werden sie nicht als Asylsuchende anerkannt, im Gegenteil werden sie beschleunigt ausgewiesen. Aber ebenso als Arbeitssuchende haben sie – auch innerhalb der Europäischen Union – kaum Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie werden ausgegrenzt, sobald sie – ob in Rumänien, Serbien, Ungarn, Kosovo, Tschechien, Slowakei, Bulgarien – ihre Siedlungen verlassen, in denen sie ebenfalls ausgegrenzt und verarmt leben müssen.
In der Schweiz haben mehrere Kantone bzw. Städte in den vergangenen Jahren Gesetze wider das Betteln erlassen, um gegen bettelnde Roma vorgehen zu können. Besonders ausgeprägt waren die Auseinandersetzungen in den Städten Genf und Lausanne sowie im Kanton Waadt, wo bereits rund zwei Dutzend Städte und Gemeinden das Betteln auf ihrem Gebiet untersagt haben. Aber auch die Mehrheit des Walliser Kantonsrates überwies Mitte November eine SVP-Motion, die das Betteln im Kanton verbieten will.
Grenzen verändern die Wahrnehmung, auch in der Berichterstattung. Während sich die Medienbeiträge über die Situation der Roma im Ausland auf die erlittene Diskriminierung und auf ihre Integrationsbemühungen konzentrieren, wird in der entsprechenden Berichterstattung in der Schweiz vor allem auffälliges oder kriminelles Verhalten thematisiert. Dies das Fazit einer Studie: «In der Berichterstattung über Roma, die sich in der Schweiz aufhalten, dominieren dagegen einerseits – insbesondere in den Medien der französischsprachigen Schweiz – Probleme, die sich aus der Nicht-Sesshaftigkeit einzelner Roma-Familien ergeben, und andererseits auf Delinquenz fokussierende Themenaspekte wie Bettelei, Kriminalität und Prostitution. Hinsichtlich der thematischen Vielfalt ist somit eine Vereinseitigung auf abweichendes und kriminelles Verhalten festzustellen; und dieser thematische Kontext prägt die Wahrnehmung der Minderheit der Roma und – durch Pauschalisierungen – auch der Jenischen in problematischer Weise. Damit korrespondiert eine – wenngleich auch weniger ausgeprägte – Vereinseitigung hinsichtlich der Akteure, die in der Berichterstattung zu Wort kommen. Hier ist ein Überhang von Akteuren der Strafverfolgung festzustellen. Roma kommen zwar in einem nicht geringen Masse selbst in der Berichterstattung zu Wort; sie erhalten in 13 Prozent der Beiträge Resonanz für ihre Positionen. Doch die Stellungnahmen der Roma resp. Jenischen sind in der Regel nur Reaktionen auf bestehende Problematisierungen. Roma oder Jenische vermögen daher nicht, eigene Themen und Positionen in die Berichterstattung einzubringen.» 22
Der Bundesrat hat in seinem Bericht «über die Situation der Fahrenden in der Schweiz» bereits vor Jahren festgehalten, dass es «heute noch kein ausreichendes Netz von Stand- und Durchgangsplätzen (gibt), das allen 2'500 schweizerischen Fahrenden die Weiterführung ihrer traditionellen Lebensweise ermöglichen würde». Auch im Jahre 2013 kam die Errichtung von Durchgangsplätzen nur zögernd voran, so in den Kantonen Freiburg, Waadt, Jura und Aargau. Der Widerstand gegen neue Plätze fokussiert sich jedoch bevorzugt auf ausländische Roma. Sobald einreisende ausländische Roma anhalten, intervenieren Behörden, meist die Polizei, um die Fahrenden zur unverzüglichen Weiterfahrt zu bewegen.
Anmerkungen: