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Zensurvorwurf vom Tisch

«Ein kleiner Zirkel ohne jegliche Legitimation» sei die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR), behauptet auf seinem Facebook-Auftritt Jean-Luc Addor, SVP-Nationalrat aus dem Kanton Wallis, vorbestraft wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm. Die EKR glaube, sich auf Kosten der Steuerzahlenden («also auf unsere Kosten») als «Zensurkommission» aufspielen zu können. Mit seinem Social-Media-Eintrag macht er stammtischtauglich, was seine Partei in diesen Tagen in vielen Inseraten behauptet: Achtung, Zensur!

Addor liegt falsch. Der Beitritt zum internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung ist demokratisch beschlossen, im Herbst 1994 durch die Annahme der Rassismus-Strafnorm in einer Volksabstimmung bestätigt, wenn auch indirekt. Mit dem Beitritt zum internationalen Übereinkommen verpflichtete sich die Schweiz, Strafbestimmungen gegen Rassismus und mindestens eine Institution zur Bekämpfung von rassistischen Vorurteilen zu schaffen. Dafür ernannte der Bundesrat die EKR. Zu ihrem Mandat gehört es, «jegliche Form von direkter oder indirekter Rassendiskriminierung zu bekämpfen und einer wirksamen Prävention besondere Beachtung zu schenken». Sanktionsmöglichkeiten hat sie keine, sie kann höchstens einzelne Individuen oder Parteien zur Vernunft bringen. Doch dies gelingt nicht immer. Wie schrieb der bekannte Rassismus-Forscher Albert Memmi schon vor Jahrzehnten? «So gut wie niemand möchte als Rassist gelten, und dennoch behauptet sich rassistisches Denken und Handeln bis auf den heutigen Tag.» Und er schrieb auch, Rassismus sei «eine Meinung, die ein Verhalten ankündigt und signalisiert» und «aktive Demonstration der Herrschaft». Ziel ist es, Aggressionen oder Privilegien zu legitimieren.

Und die EKR hat recht, wenn sie der Bundesratspartei vorhält, deren Kampagne «Neue Normalität?» verzerre die Realität und sei «rassistisch, fremdenfeindlich und hetzerisch». Sie fordert daher die SVP dazu auf, die veröffentlichen Beiträge zu löschen und die Verbreitung in den sozialen Medien zu stoppen. SVP-Präsident Marco Chiesa reagierte umgehend, seine Partei verbitte sich «diese Verleumdung». Und in der Medienmitteilung verbreitet die «Sünneli»-Partei den Mumpitz: EKR «verbietet SVP-Kampagne». In diesen Tagen sind mehrere neue Teile der Kampagne erschienen. Wie überhaupt der Partei bei der Beschreibung der Realität immer wieder Anfängerfehler begeht. In der Medienmitteilung behauptet sie, neben Behörden und Politik würden auch «Medien» die Realität «oft unterschlagen». Tatsache ist, bei fast allen ihren Inseraten nennt die SVP als Quelle Medienberichte, die sich – wie branchenüblich – auf Medienmitteilungen der Polizei stützen.

Fakt ist auch, die Kampagne vermittelt den Eindruck, «nur ausländische Personen seien für Gewalt und Kriminalität in der Schweiz verantwortlich». So umschreibt es die EKR und verweist dabei auch auf den bekannten Fall «Kosovaren schlitzen Schweizer auf». Das Bundesgericht hatte letztinstanzlich befunden, dass die SVP durch die Schlagzeile «ein feindseliges Kapitel gegenüber den Kosovaren geschaffen, verschärft oder zumindest unterstützt und der Gedanke gefördert, dass die Kosovaren unerwünscht sind.» Offen bleibt, ob die diesjährige SVP-Kampagne gegen die Strafnorm «Diskriminierung und Aufruf zu Hass» verstösst. Auffällig ist jedenfalls, dass die Partei dieses Jahr auf die Verwendung von unbestimmten Mehrzahlformen in den Titeln verzichtet. Also nicht mehr «Kosovaren schlitzen …», sondern beispielsweise «Deutscher bringt Freundin brutal um». Hat der «Schlitzer»-Schuldspruch also Wirkung gezeigt? Und wenn ja, aus Einsicht oder nur wegen unerwünschten negativen Medienschlagzeilen?

Fazit: Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus tat nichts anderes als ihre Pflicht. Und die SVP vermittelt einmal mehr die Botschaft, dass sie Kritik an ihrer Tätigkeit als nicht durch Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt erachtet.

Hans Stutz
Tachles, 13. Oktober 2023
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