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Dünner geht es nümmer!

ExpertInnen sind die Notnägel für überforderte RedaktorInnen.

13. April 2012

In diesen Tagen hat die „20 Minuten“-Besitzerin Tamedia ein sehr gutes Jahresergebnis 2011 vermeldet. Für die AktionärInnen, nicht für die LeserInnen. Doch der Tamedia-Unternehmensleiter Martin Kall hat gegenüber dem Branchendienst „Persönlich“ weiteres Ungemach angedroht: Die „Medienbranche“ kenne noch zu wenig „dass man mit weniger Mitteln mehr produzieren“ müsse. Kall sollte einmal „20 Minuten“ lesen!

Ein Geissbock verschwindet, er war der Liebling der Familie. Das ist traurig, kann aber vorkommen. Es ist ja auch kurz vor Ostern, und da endete manch Zicklein in der Pfanne oder im Backofen. Wollen oder können sich nicht alle leisten, aber wenn man einen Geissbock lange genug abhängen lässt, …! Tage später findet ein Wanderer ein paar Kilometer entfernt in einem Plastiksack einen Ziegenkopf, sauber abgetrennt, sogar die Hörner sind noch dran.

Vor dem Fund hat die Geschichte vom vermissten Geissbock „Kimi“ bereits zu „20 Minuten“ gefunden, und so berichtet das Gratisblatt nun auch über den jähen Hinschied des armen Viechs. Nur: Die Informationslage ist dünn. Keine Spuren, keine ZeugInnen, kein Bekennerschreiben. Nichts.

Immerhin findet das Blatt einen Zeugen vom Hörensagen. Die Tierbesitzerin berichtet, ein Wildhüter habe ihr gesagt:  Es könnte sein, dass das Tier geschächtet wurde. Wie und woran er erkennen konnte, dass dem Tier – noch zu Lebzeiten! – die Kehle aufgeschnitten wurde, bleibt unerwähnt. Doch ein Verdacht ist ausgestreut: Juden? Oder Moslems?

Überzeugend ist das nicht, aber es gibt noch weitere Minderheiten. Und auch „Experten“, die Notnägel für überforderte RedaktorInnen. Den Anruf erhält diesmal Georg Otto Schmid, von der Evangelischen Informationsstelle, eingerichtet von der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons Zürich für die Beobachtung kleinerer Konkurrenzorganisationen, Sekten genannt. „Satanisten oder Anhänger von afroamerikanischen, religiösen Kulten“ könnten es gewesen sein, behauptet er.  Und ach wie bedrohlich, Zehntausende glaubten „in der Schweiz an Voodoo und andere afroamerikanische Religionen“.  Das ist nicht besonders viel, doch Schmid legt noch einen drauf: „In den letzten Jahren wurden immer wieder geköpfte Hühner gefunden – mitunter in der Nähe von Asylbewerberheimen.“ Damit hat Schmid, der gute Christ, noch eine weitere Minderheit einem Verdacht ausgesetzt. Und fertig ist die Geschichte. Fazit: Die „Weltwoche“ nimmt den Holzhammer, „20 Minuten“ macht es subtiler. Und auch: Belangloser geht es nümmer!