Christliche Dominanz im säkularen Staat
Die CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann hält es mit den Rückwärtsgewandten.
Der Milieukatholizimus hat auch in der Innerschweiz ausgedient. Doch rückwärtsgewandte CVP-ExponentInnen hängen immer noch den unseligen Zeiten der katholisch-konservativen Dominanz nach, da sollen Angehörige von Minderheiten ihre „individuellen Grundrechte wie Glaubens- und Gewissensfreiheit“ schon einmal hinten anstellen müssen.
„Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: Man hat Arbeitskräfte gerufen und es kamen Menschen“, schrieb Max Frisch bereits 1965. Zwei Generationen später sieht die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann das Herrenvolk wieder in Gefahr, es kamen Menschen und viele von ihnen glauben an einen Gott namens Allah, nebst all den anderen: Atheisten, Buddhisten, Juden, Sikhs etc.
In einer Parlamenatarischen Initiative verlangt Glanzmann: „Symbole der christlich-abendländischen Kultur sind im öffentlichen Raum zugelassen“. Sie will damit erreichen, dass „nicht Einzelpersonen oder einzelne Gruppierungen unter Bezugnahme auf individuelle Grundrechte wie Glaubens- und Gewissensfreiheit unsere schweizerische Kultur infrage stellen können.“ Was nun “schweizerische Kultur” ist, lässt Glanzmann offen, wie auch die Begründung nicht frei von Geschichtsklitterung ist. Glanzmann behauptet, das Kreuz stehe unter anderem für das „abendländische Grundrechtsverständnis“. Das Gegenteil ist zutreffend: Die individuellen Grundrechte mussten gerade auch gegen die Kirche, insbesondere jedoch gegen den Vatikan durchgesetzt werden. Auch noch im 20. Jahrhundert.
Mit Stichentscheid des Präsidenten hat nun die Staatspolitische Kommission des Nationalrates Glanzmann Parlamentarischer Initiative vor kurzem zugestimmt. Die Kommissions-Minderheit lehnt hingegen die verfassungsmässige Sonderstellung einer einzelnen Religionsgemeinschaft im säkularen Staat ab. Bevor das Unheil weiter seinen Lauf nehmen kann, muss die vorberatende Kommission des Ständerates Glanzmanns Dominanz-Vorstoss auch noch zustimmen.
Glanzmann reagierte auf zwei Freidenker
Glanzmann Vorstoss ausgelöst haben zwei Freidenker. Im Wallis weigerte sich ein Lehrer im Schulzimmer ein Kruzifix aufzuhängen. Die örtliche Schulkommission entliess ihn umgehend fristlos. Ob die Entlassung juristisch korrekt war, ist immer noch ungeklärt, die CVP-dominierte Walliser Regierung ist noch nicht auf die eingereichte Beschwerde eingetreten. Der Lehrer ist immer noch arbeitslos. In Triengen verlangte ein Vater die Durchsetzung eines Bundesgerichts-Entscheides, wonach in den Schulzimmern keine Kruzifixe hängen dürfen. Nach Drohungen verliess er die tolerante Gemeinde. Erst nach den Trienger Auseinandersetzungen entschied die Grosse Kammer des Europäischen Menschengerichtshof EGMR, dass “sich nicht beweisen lässt, ob ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf die Schüler hat, auch wenn es in erster Linie als religiöses Symbol zu betrachten ist”. Der EGMR habe im Prinzip die Entscheidungen der Staaten auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts zu respektieren. Das gelte auch für den Stellenwert, den sie der Religion beimessen, “sofern diese Entscheidungen zu keiner Form der Indoktrinierung führen”. Der EGMR verlangt aber vom Staat auch Toleranz gegenüber Minderheiten, davon ist in Glanzmann Dominanzvorschlag wenig zu spüren.
P.S. Die vorberatende Kommission des Nationalrat hat den Vorstoss in einem zweiten Anlauf doch noch abgelehnt. Siehe: http://hans-stutz.ch/blog-aktuelles/vorstoss-f%C3%BCr-christliche-domina...